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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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dann seifte er sie lange und gründlich ein mit einer ungemein wohlriechenden, ungemein kostbaren Seife, während seine ölige Stimme ungemein intelligente Dinge aus Ȭ sprach. Schurbigel sah schwarz, aber doch nicht allzusehr. Vokabeln wie
    »Elite« Ȭ »Katakombe« Ȭ »Desperation« schwammen wie Leuchtbojen im
    gleichmäßig intelligenten Strom seiner Rede; während er den imaginären Kunden seines Friseursalons geheimnisvolle Genüsse angedeihen ließ: sanfte Behandlungen, heiße, kalte, mittelwarme Umschläge, Friktionen; es war, als segnete er seine Zuhörer mit allen Wohltaten, die den Katalog eines Meister Ȭ Friseurs geziert hätten.
    Er war in einem Friseursalon der Vorstadt aufgewachsen. Das »ungemein
    begabte Kind« war früh entdeckt und gefördert worden, aber der dicke kleine Junge vergaß nie die berauschende Melancholie des schmutzigen kleinen Salons, den sein Vater betrieben hatte: das Schnippen der Schere Ȭ blitzender Nickel im grauen Dämmer Ȭ , das milde Surren der elektrischen Haar Ȭ schneidemaschine, ruhiges Geplauder, den Geruch verschiedener Seifen, wohltätig warm ineinander gemischt, zerstäubte Parfüms, das Klirren der Groschen in der Kasse, diskret überreichte Päckchen, Papierstreifen, auf denen abgekratzter Rasierschaum langsam eintrocknete, so daß blondes, schwarzes, rötliches Haar in trockenem Zuckerschaum gefangen schien Ȭ und die beiden warmen und dunklen Holzkabinen, in denen seine Mutter wirkte: künstliches
    nem bestimmten Punkt schrill ausbrechende Gespräch der Un Ȭ
    terleibsgeschichten. Der freundliche, sehr melancholische Vater kam, wenn kein Kunde im Laden war, nach hinten, rauchte eine Zigarette und hörte ihm die Vokabeln ab: Hier wurde Schurbigels Ohr empfindlich, sein Geist traurig. Sein Vater erlernte nie die richtige Betonung der lateinischen Wörter, sagte beharrlich genüs statt genus, sagte äncilla statt ancilla, und wenn sein Sohn titämi extemporierte, kam ein albernes Grinsen auf sein Geischt, denn seine Assoziationen vollzogen sich auf niedriger Ebene. Jetzt brachte Schurbigel seine Zuhörer in den Genuß einer geheimnisvollen Salbe, mit der er dezent ihre Ohren, ihre Stirnen, ihre Gesichter betupfte, dann nahm er ihnen mit einem heftigen Ruck den Frisiermantel ab, verbeugte sich kurz, raffte seine Manuskriptblätter zusammen und verließ mit schüchtern verzweifeltem Lächeln das Podium. Der Beifall war einmütig und anhaltend, aber gedämpft, so wie Schurbigel es liebte: Lautes Geklatsche mochte er nicht. Er steckte die rechte Hand in seine Hosentasche und spielte mit einer Blechschachtel voller Glutamindragees: Das helle, doch dezente Klingeln der Perlen beruhigte ihn, und lächelnd nahm er Pater Willibrords Hand, der ihm zuflüsterte: »Großartig, einfach großartig.« Schurbigel verabschiedete sich, er mußte dringend fort, zur Eröffnung der »Oberländischen Sezession«, er war Spezialist für moderne Malerei, moderne Musik, moderne Lyrik. Gerade die schwierigsten Themen liebte er, weil hier kühne Begriffe gebildet, gewagte Interpretationen erprobt werden konnten. Schurbigels Kühnheit war so groß wie sein Wohlwollen: Am liebsten lobte er öffentlich alle, von denen er wußte, daß es seine Feinde waren, und am liebsten fand er Mängel bei seinen Freunden. Selten nur lobte er einen Freund, und so kam er in den Ruf der Unbestechlichkeit. Schurbigel war unbestechlich, er hatte zwar Feinde, war aber selbst niemandes Feind.
    Schurbigel hatte nach dem Krieg (Saulus wurde hier häufig als Beispiel zitiert) die ungeheuren Reize der Religion entdeckt. Zur Überraschung seiner Freunde wurde er Christ und Entdecker christlicher Künstler: Sein großer Vorteil war, daß er ein Verdienst aufweisen konnte, das schon mehr als ein Jahrzehnt zurücklag: die Entdeckung Raimund Bachs, den er damals schon den größten Lyriker seiner Generation genannt hatte. Er hatte ihn als
    gedruckt, und so konnte er — und hier mußten selbst seine Feinde schweigen Ȭ
    jedes Referat über moderne Lyrik mit dem Satz beginnen:
    »Als ich im Jahre 1935 als erster ein Gedicht unseres verstorbenen, in Rußland gefallenen Dichters Bach druckte, wußte ich, daß eine neue Ära lyrischer Aussage begonnen hatte.« Mit dieser Veröffentlichung hatte er sich das Recht erworben, Nella »meine liebe Nella« zu nennen, und sie konnte nichts dagegen tun, obwohl sie wußte, daß Rai ihn gehaßt hatte, so wie sie ihn jetzt haßte. Er hatte sich das Recht erworben, alle drei Monate

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