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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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abends bei ihr Wein und Tee zu trinken, wozu er stets ein halbes Dutzend lässig angezogener Jünglinge mitbrachte Ȭ und das Foto »Die Witwe des Dichters mit dem Entdecker ihres Mannes« ließ sich mindestens alle sechs Monate irgendwo unterbringen.
    Nella war erleichtert, ihn verschwinden zu sehen; sie haßte ihn, amüsierte sich
    aber auch über ihn, und als der Applaus jetzt aufhörte und sie vollends erwachte, spürte sie, daß jener Blick nicht mehr auf ihrem Nacken ruhte, sondern nun ihr Gesicht traf. Sie blickte auf und sah den, der sie beharrlich zu erobern versucht hatte, mit Pater Willibrord auf sie zukommen: Er war noch jung und war Ȭ entgegen der Mode Ȭ sehr diskret angezogen: dunkelgrauer Anzug, sauber geschlungene Krawatte, und sein Gesicht sah von vorne ganz sympathisch aus Ȭ eine gewisse ironische Intelligenz, wie sie Redakteuren eigen ist, die von der Politik ins Feuilleton gekommen sind. Es war typisch für Pater Willibrords Naivität, daß er Leute wie Schurbigel vollkommen ernst nahm und Leute wie jenen Unbekannten, der nun langsam auf sie zukam, mit ihr bekannt machte.
    Der junge Mann war dunkel, wie sie ihn sich vorgestellt hatte, entsprach aber
    nicht dem Typ des intellektuellen Schürzenjägers, an den sie eben hatte denken müssen. Um ihn noch mehr zu verwirren, lächelte sie noch einmal: Fiel auch er auf dieses Spiel winziger Muskeln herein? Er fiel darauf herein, und als er sich vorbeugte, sah sie das dichte, schwarze, sauber gescheitelte Haar.
    »Herr Gäseler«, sagte Pater Willibrord lächelnd, »arbeitet an einer Lyrik Ȭ
    Anthologie und würde gern mit dir beraten, welche Gedichte von Rai er aufnehmen soll, liebe Nella.« »Wie«, sagte sie, »wie heißen Sie?«, und sie sah an seinem Gesicht, daß er ihr Erschrecken für Ergriffenheit nahm.
    Sommer in Rußland, ein Erdloch, ein kleiner Leutnant, der Rai in den Tod schickte. Hatte auf dieser dunklen, tadellos rasierten Wange vor zehn Jahren Alberts Ohrfeige geklebt?... »Ich schlug ihn ins Gesicht, so fest, daß ich für einen Augenblick meine fünf Finger auf seiner dunklen Wange sah, und ich bezahlte die Ohrfeige mit sechs Monaten Haft im Militärgefängnis von Odessa.« Wachsame, ein wenig ängstliche Augen mit witterndem Blick. Abgeschnitten das Leben, Rais Leben, meins und des Jungen Leben dazu durch deinen eitlen Eigensinn, schwarzhaariger Leutnant, der darauf bestand, seinen Befehl ausgeführt zu sehen, drei Viertel des schönen Films, der schon gedreht war, nur noch abzulaufen brauchte, abgeschnitten und in die Rumpelkammer geworfen, aus der sie ihn stückweise zusammensuchen mußte, Träume, die dazu bestimmt gewesen waren, keine Träume zu sein. Den Hauptdarsteller rausgeschmissen, und alle anderen, sie, den Jungen und Albert gezwungen, einen zurechtgestümperten Film neu zu drehen. Der Producer hat für zwei Stunden einen kleinen Befehlserteiler reingelassen, der über den Rest des Films anders entschieden hat. Hauptdarsteller raus! Kam ihres, kam Alberts, des Jungen und der Großmutter verkorkstes Leben auf das Konto dieses kleinen Stümpers Ȉ , der beharrlich darauf bestand, ihre Verwirrung für Verliebtheit anzusehen ... Oh, kleiner, hübscher und intelligenter Stümper mit dem witternden Blick, Anthologieherausgeber, wenn du ȇ s bist Ȭ du scheinst mir zu jung zu sein, aber wenn du ȇ s bist, wirst du der Hauptdarsteller im dritten Viertel sein und ein melodramatisches Ende haben: mythische Gestalt in den Gedanken meines Jungen, schwarzer Mann im Gedächtnis der Großmutter, mit zehn Jahre alten, zäh erhaltenem Haß beladen; dir wird so schwindlig werden, wie jetzt mir wird. »Gäseler«, sagte er lächelnd.
    »Herr Gäseler macht seit zwei Wochen das Feuilleton beim Boten Ȭ ist dir nicht wohl, liebe Nella?« »Nein, mir ist nicht wohl.«
    »Nehmen wir eine kleine Erfrischung, einen Kaffee, darf ich Sie einladen ?«
    »Ja«, sagte sie. »Gehn Sie mit uns, Pater?« »Ja.«
    Aber sie mußte noch Trimborn die Hand schütteln, Frau Mese Ȭ
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    witz begrüßen, hörte jemand murmeln: »Die gute Nella wird alt«, und
    überlegte, ob sie Albert anrufen und herbitten sollte. Albert würde ihn erkennen und ihr das schwierige Verhör ersparen. Obwohl alles dagegen sprach, daß er es sein könnte, war sie fast sicher, daß er es sei. Er sah wie fünfundzwanzig aus, mochte aber achtundzwanzig sein und wäre also damals höchstens achtzehn gewesen.
    »Ich wollte Ihnen schon schreiben«, sagte er, als sie die

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