Hausbock
warst du eigentlich heute
früh? Du warst eine ganze Weile weg.«
Morgenstern grinste. Ganz langsam zog er seine Jeansjacke aus und
legte sie vor sich auf den Boden. Darunter trug er ein viel zu enges,
zerschlissenes weißes T-Shirt mit dem Aufdruck »Born to be wild«. Er wandte
Fiona seine rechte Seite zu und schob dann bedächtig den Ärmel bis zur Schulter
hoch.
»Ich glaub es einfach nicht«, stöhnte Fiona. »Du hast ein Tattoo!«
Morgenstern lachte. »Das habe ich mir ganz sorgfältig ausgewählt.
Das hat garantiert noch keiner.«
»Kein Wunder«, sagte Fiona.
Morgensterns nagelneue Tätowierung zeigte ein blaues Quadrat, ein
blaues Dreieck und zwei weiße Dreiecke. Gemeinsam ergaben sie ein auf dem Kopf
stehendes stilisiertes Haus mit Giebeldach.
»Das ist das Symbol für ein besonders schützenswertes Kulturgut, das
im Kriegsfall geschont werden soll«, erklärte er, »gemäß der Haager
Konvention.«
Fiona verdrehte die Augen.
»Ich finde, das passt ganz hervorragend zu mir. Und es passt zu Eichstätt:
Dieses Symbol findest du in unserer Stadt an jeder Ecke.«
Fiona tippte Morgenstern an die Stirn. Dann malte sie die
Tätowierung auf der geröteten Haut mit dem Finger nach: »Das – ist –
das – Haus – vom – Ni-ko-laus.«
Richard Auer
WALBURGISÖL
Oberbayern Krimi
ISBN 978-3-86358-029-2
»Auer verwebt all das zu einem faszinierenden Kriminalfall, zu einer gut lesbaren, spannenden und witzigen Geschichte, die trotz der vielen Komik an vielen Stellen zum Nachdenken anregt.«
Eichstätter Anzeiger, 19.10.2010
Leseprobe zu Richard Auer,
WALBURGISÖL
:
SONNTAG
Mike Morgenstern war ein elender Schütze. Deswegen war es ein
Fehler, dass er an diesem Sonntagspätnachmittag Anfang September an einer
Schießbude auf dem Eichstätter Volksfestplatz stand. Er war umringt von seiner
Familie – seiner Frau Fiona und den beiden Söhnen, dem neunjährigen Marius und
dem siebenjährigen Bastian. Die Buben hatten ihn durch hartnäckiges Nörgeln
genötigt, eine rote Plastikrose für Fiona zu schießen. Morgenstern hatte sich
breitschlagen lassen und sich bereits wenige Augenblicke später dafür
verflucht.
Breitbeinig stand er mit seinen Cowboystiefeln vor dem Tresen des
Schießstandes, der sich großspurig »Schützenhalle Hubertus« nannte. Gute zwei
Meter vor ihm war eine ganze Armada von Plastikblumen aufgereiht, die ihm nun
so unerreichbar erschienen wie der Mond.
»Jetzt schieß halt, Papa!«, drängelte Marius, denn Morgenstern hielt
das antiquierte Luftgewehr nun schon eine halbe Minute mit schweißnassen Händen
im Anschlag, ohne abzudrücken. Als er es dann endlich tat, ging der Schuss
daneben.
»Du hast mich abgelenkt«, sagte Morgenstern anklagend.
»Wie lange wolltest du denn noch zielen?«, fragte Marius zurück.
»Wir möchten ja nicht ewig hier stehen.«
Morgenstern, Kriminaloberkommissar beim Polizeipräsidium
Oberbayern-Nord in Ingolstadt, hätte es wissen müssen, dass er sich hier an der
Schießbude nur blamieren konnte. Durch die Schießausbildung hatte er sich mehr
schlecht als recht durchgemogelt, obwohl seine Vorgesetzten ihm regelmäßig
eingebläut hatten, ein bayerischer Polizeibeamter müsse souverän mit der Waffe
umgehen können; das gehöre nun mal zum Job.
Der Schießbudenbetreiber nahm Morgenstern den Karabiner ab und lud
ihn neu durch. »Bitte sehr, der Herr, Sie haben ja noch neun Versuche«, sagte
er mit einem aufmunternden Lächeln. Morgenstern grinste schief zurück. Neun Versuche,
das bedeutete im schlimmsten Fall neun weitere Blamagen.
Und genau so kam es. Obwohl er sich alle Mühe gab, traf er nicht ein
einziges Mal. Am Ende war er ebenso verzweifelt wie ratlos. Hatte er nicht
schon mal gerüchteweise gehört, dass an diesen Schießbuden die Gewehrläufe
absichtlich verbogen waren, um die Trefferquote der Schützen zu senken? Das
musste hier der Fall sein, sonst hätte doch zumindest eine Rose fallen müssen.
»Ich mach mir sowieso nichts aus Plastikblumen«, sagte Fiona
tröstend.
»Aber wir könnten dir eine schießen«, meldete sich Marius.
»Du? Mit neun Jahren?«, fragte Morgenstern.
»Warum nicht? Weniger Treffer als du geht nicht.«
Jetzt war Morgenstern ernsthaft beleidigt. »Von mir aus«, sagte er
verschnupft. »Drei Schuss kriegst du.«
Der Schießbudenbetreiber, der sich bisher diskret zurückgehalten
hatte, wandte sich an Marius: »Wenn du willst, darfst du das Gewehr auf dem
Tresen auflegen.«
»Nö, muss nicht sein«, gab
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