Hausbock
»Danke« wieder auf.
»Zäher als Lothar Pfunder.« Er deutete auf sein Handy. »Die Klinik
war dran. Sie konnten ihn nicht mehr retten.«
DREIZEHN
Am
nächsten Samstagmorgen hatte Morgenstern in aller Heimlichkeit etwas Wichtiges
zu erledigen. Und wie gewünscht hatten weder Fiona noch die Kinder etwas davon
mitbekommen. Er müsse sich ein wenig die Beine vertreten, hatte er gesagt,
frische Luft tue ihm gut – der lästige Husten war allerdings verflogen.
Nur ein leichtes Kratzen im Hals erinnerte Morgenstern noch an das schaurige
Erlebnis in der Friedhofskapelle. Für den späten Vormittag, um elf Uhr, hatte
Fiona einen Termin mit der Maklerin vereinbart. Sie wollte sich das Haus noch
einmal gründlich ansehen, bevor sie den Kaufvertrag beim Notar unterzeichnete.
Das sei nur vernünftig, hatte die Maklerin gemeint, aber gleichzeitig zur Eile
gedrängt. Ein solches Angebot komme so schnell nicht wieder. Man könne fast von
einem Schnäppchen sprechen. »Schnäppchen« war Morgensterns Hasswort Nummer
eins.
Nach einem ausgiebigen Frühstück – für Morgenstern gab es zur
Feier des Tages Rührei mit Speck – machte sich die Familie zu Fuß auf den
Weg zum Jurahaus ihrer Träume. Als sie am Tätowierstudio vorbeikamen, stand
eine kleine Traube junger Leute vor der offenen Glastür, rauchend, schwatzend,
voller Vorfreude. Der Geruch von scharfem Desinfektionsmittel lag in der Luft,
man hörte ein leises Rattern, wie von einer Nähmaschine.
»Stinkt ja eklig«, sagte Marius und hielt sich die Nase zu.
»Völlig bescheuert«, meinte Fiona und schaute missbilligend auf die
aufgekratzten Jugendlichen. »Das wird denen bestimmt eines Tages leidtun. Ich
möchte gar nicht wissen, an welchen Stellen die sich irgendwelche albernen
Bildchen stechen lassen.«
»Lass ihnen doch den Spaß«, sagte Morgenstern. »Manchmal muss man
auch mal was Verrücktes tun.«
»Ja, das sagst du immer: Ein Mann muss seinen Weg gehen.«
»So ist es«, sagte Morgenstern.
Die Maklerin wartete bereits vor dem Jurahaus. Die Haustür war weit
geöffnet. Morgenstern hatte den Verdacht, dass so der Mief von tausend Jahren
noch schnell entweichen sollte, bevor der Rundgang begann.
»Ach, da kommt sie ja schon, die Familie Morgenstern«, flötete sie.
»Herzlich willkommen.«
Nacheinander gab sie erst Morgenstern, dann Fiona, Marius und
schließlich auch Bastian die Hand. Den Kindern streichelte sie in einer Geste,
die sie vermutlich für mütterlich-warmherzig hielt, über den Kopf.
»Also, dann sehen Sie sich ganz ungezwungen um. Das Haus steht Ihnen
offen. Lassen Sie sich alle Zeit der Welt.« Sie wies auf die Haustür und ging
dann voraus, um auch das Flügeltor zur kleinen Scheune von innen zu öffnen.
Bastian und Marius stürmten hinterher, wild entschlossen, das ganze Haus bis
zum letzten Balken unter die Lupe zu nehmen.
»Aber schießt keine Fenster ein!«, rief Morgenstern ihnen nach.
Wenige Augenblicke später waren sie zurück und erstatteten Meldung.
»Dahinten, an der Rückseite, ist ein Fenster kaputt, aber das waren
wir nicht. Ehrlich. Das war schon so. Aber neulich war es noch heil.«
»Aha«, sagte Morgenstern. »Ich glaub’s euch.«
Die Jungen zogen wieder ab. Morgenstern lächelte still und ging dann
ebenfalls ins Haus. Der breite Flur mit seinem hellgelben Steinboden aus
Solnhofer Platten strahlte im hellen Tageslicht, die Holztüren zu den Zimmern
im Erdgeschoss standen offen. Staubkörner tanzten im Sommersonnenschein. Im
ersten Stock war Fionas Stimme zu hören. Sie sprach mit der Maklerin. Es klang
begeistert.
Morgenstern ging die Treppe nach oben. Die Dielen knarzten unter
seinen Füßen.
»Mensch, Mike, das ist noch schöner, als ich es in Erinnerung
hatte«, rief ihm Fiona entgegen und fotografierte mit ihrer kleinen blauen
Kamera Türangeln und Holzfußböden, Kastenschlösser und Steinfliesen.
»Das Entscheidende ist immer das Dach«, sagte Morgenstern
fachmännisch, und seine Stimme hatte einen warnenden Unterton.
»Ach, das ist alles gar nicht schlimm«, meinte Fiona. »Ich habe mir
beim ersten Mal alles ganz genau angeschaut. Es gibt zwar allerhand zu machen,
aber das ist alles im Rahmen.«
»Na dann«, sagte Morgenstern und ließ Fiona und der Maklerin den
Vortritt zum Speicher.
Auch hier tanzte der Staub fröhlich in den schmalen Sonnenstrahlen,
die durch zwei kleine rechteckige Fensterluken im Giebel kamen. Kühl war es
unter der mächtigen Last des steinernen Daches. Die Kalkplatten waren von
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