Hausbock
unten
gut zu erkennen. Dunkelbraun glänzten die gewaltigen Eichenbalken, die seit
Jahrhunderten das Gewicht der Legschieferschichten tragen mussten.
Der Dachboden war sorgfältig aufgeräumt worden, die Tierschützer
hatten ganze Arbeit geleistet und die breiten Dielenbretter auch noch
abgekehrt. Eine alte Pralinenschachtel, die in einer Ecke lag, schienen sie
dabei vergessen zu haben.
»Gibt’s kein Licht?«, fragte Morgenstern. »Mir ist es hier zu dämmrig.«
»Doch, natürlich haben wir Licht«, sagte die Maklerin mit liebreizender
Stimme und ging zu einem der Tragbalken, an dem ein altertümlicher schwarzer
Bakelitschalter angebracht war. Ein Lichtschalter zum Drehen, der beim Anmachen
ein sattes, mechanisches Klacken von sich gab. Fiona war fasziniert und machte
sofort ein Foto davon.
»Der ist mir schon neulich aufgefallen«, schwärmte sie. »Das bekommt
man sonst nur noch bei Manufactum. Es gibt sie noch, die guten Dinge.«
Der Schalter brachte allerdings nicht, wie zu vermuten war, eine
rustikale, mundgeblasene Lampe aus den 1920er Jahren zum Leuchten, sondern ließ
mit einer kleinen Verzögerung und leichtem Surren zwei große Neonlampen
anspringen. Unbarmherzig tauchte ihr Strahlen den Speicher in kaltes, technisches
Licht.
»Jesus sprach, es werde Licht, doch Petrus fand den Schalter nicht«,
sagte Morgenstern im Versuch, witzig zu sein.
Fiona ging mit der kleinen Kamera über den Dielenboden bis in die
hintersten Ecken, sorgenvoll beobachtet von der Maklerin. Morgenstern blieb
mitten im Speicher stehen, an einen der hölzernen Stützpfeiler gelehnt, die
Arme vor der Brust verschränkt.
»Sieht alles gut aus«, sagte Fiona. »Hab ich doch gleich gesagt.«
Auf der Treppe gab es Radau.
Marius und Bastian trampelten zum Speicher hoch. »Ist hier was
Spannendes?«, fragte Marius, als sein Kopf an der Bodenkante erschien.
Bastian drängte nach und blieb abrupt neben seinem Bruder auf der
Treppe stehen. »Ii!«, sagte er. »Da sind ja überall so komische Käfer!«
»Lass sehen!«, sagte Marius und beugte sich zu den breiten Fichtendielen.
»Bäh. Die haben vorn ganz seltsame Fühler. Aber die sind alle tot.«
Fiona kam näher. »Geht mal weg da!«, befahl sie und ging in die
Hocke. Dann nahm sie den Fotoapparat und machte mehrere Aufnahmen von den
Insekten.
»Nun komm schon, Mike«, sagte sie zu Morgenstern, der immer noch wie
unbeteiligt am Balken lehnte. »Schau dir das mal an.«
Morgenstern stellte sich neben sie und bückte sich mit sorgenvoller
Miene.
»Hm«, sagte er. »Hm.«
Die Maklerin eilte ebenfalls herbei. »Was ist denn das?«, fragte
sie.
Morgenstern stand langsam auf. »Oh, mein Kreuz«, stöhnte er
theatralisch und hielt sich die Wirbelsäule.
»Nun sag schon«, drängte Fiona.
Morgenstern blickte nachdenklich zum Dachgebälk, und Fiona folgte seinen
Blicken.
»Hausbock«, sagte Morgenstern. »Da gibt es gar keinen Zweifel.
Fiona, mach ruhig noch ein paar Bilder davon. Aber ich bin mir ganz sicher. Du
weißt ja, die Kapelle …«
Fiona nickte. »Und was heißt das für uns?«
Morgenstern wog seine Worte sorgfältig. »Wenn das so viele sind,
braucht das Haus vermutlich einen komplett neuen Dachstuhl. Und vielleicht
stecken die Viecher auch schon in den Zwischendecken. Das ist ja alles aus
Holz.«
Er nahm Fiona in den Arm. »Das tut mir jetzt wirklich leid«, sagte
er. »Aber es ist ein Glück, dass wir es noch rechtzeitig entdeckt haben.«
Die Maklerin stand neben den beiden wie ein Häuflein Elend. »Heißt
dass, dass Sie sich die ganze Sache noch einmal überlegen?«, fragte sie
gequält. »Bloß wegen dieser paar Käfer?«
»Ein paar Käfer?«, fragte Fiona empört. »Schauen Sie sich doch um,
die liegen hier überall. Ich kann nur hoffen, dass Sie nichts davon gewusst
haben.«
»Aber nie im Leben«, sagte die Maklerin erschrocken. »Das kommt für
mich so überraschend wie für Sie.«
Gemeinsam gingen sie die Treppe hinab. Jetzt sah auch Fiona, ob
eingebildet oder nicht, an jeder Mauer im Erdgeschoss aufsteigende Feuchtigkeit
und gelblichen Salpeter, entdeckte morsche Bodenbretter und zerbrochene
Steinplatten.
Arm in Arm stand sie schließlich mit Morgenstern im breiten Flur im
Erdgeschoss. »Das war’s dann wohl«, sagte sie traurig. »Danke für deine
Skepsis.«
»Gern geschehen.« Er drehte sich nach den Kindern um. »Kommt, wir
gehen.«
Als sie aus einiger Entfernung noch einmal einen Blick zurück auf
das Jurahaus warfen, fragte Fiona plötzlich: »Wo
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