Hausmaestro - Kriminalroman
ohnehin!«
»Ich finde ihn übrigens gar nicht so toll«, fuhr Walz unbeeindruckt fort, »als Dirigent hat er in meinen Augen definitiv zu wenig Substanz. Gut schaut er schon aus, zugegeben, und er macht auch eine effektvolle Show, wenn er da vorne steht, aber es fehlt ihm einfach an Tiefgang. Doch das ist den Leuten heutzutage egal, wichtig ist nur mehr, dass sie einem gesellschaftlichen Event beiwohnen, wenn sie in die Oper gehen, und dazu taugt der Maurer bestens. Da kannst du dir vorstellen, was heute Morgen beim Kartenvorverkauf los war. Lauter hysterische Weiber, vermischt mit skrupellosen Kartenhändlern und euphorischen Opernfreunden, alle noch verschlafen und ungeduscht. Diese maßlose Ballung an gesteigerter Vorfreude, die offensichtlich die Schweißdrüsen in besonderem Maße anregt, vermischt mit mangelnder Körperhygiene auf engstem Raum … So riecht Bildung. Alles in allem also weder ein erfreulicher Anblick noch ein olfaktorischer Genuss, aber immerhin ein repräsentativer Querschnitt durch die Wiener Kulturszene. Und weil diese so eifrig ist, musste ich heute Morgen um vier aufstehen, um noch einigermaßen gute Plätze für uns zu bekommen.«
»Um vier Uhr morgens?«, fragte Vogel ungläubig. »Du willst mir doch nicht erzählen, dass das Kartenbüro wegen eines schweißfüßigen Schnösels, der ein bisserl dirigieren kann, mitten in der Nacht aufsperrt? Um die Zeit ist ja selbst der Würstelstand an der Albertina zu.«
»Das stimmt definitiv nicht! Da hab ich mich nämlich mit einer köstlichen Käsekrainer gestärkt, bevor ich mich unerschrocken in die Menge warf. Natürlich öffnen die Theaterkassen erst um acht Uhr, aber wenn so ein Kapazunder wie der Magnus Maurer endlich einmal eine Premiere an der Staatsoper dirigiert, haben sich da auch schon um vier Uhr morgens die ersten Interessenten eingefunden. Obwohl ich schon um kurz vor fünf da war, war ich bei Weitem nicht der Erste – was ja irgendwie auch tröstlich ist. Solange die Leute wegen einer Oper derart früh aufstehen, ist das Kulturland Österreich wenigstens noch nicht ganz verloren.«
Vogel grunzte zustimmend und stieß eine gewaltige Rauchwolke aus.
»Magnus Maurer? Muss ich den kennen?«
»Nein, du nicht«, antwortete Walz scheinbar bekümmert, »wenn du dich allerdings etwas mehr für Kultur interessieren würdest, was dir als österreichischem Beamten im Übrigen gut anstünde, dann schon. Magnus Maurer wurde in der Gesellschaftspresse in den letzten Jahren als das größte Dirigiertalent seit Carlos Kleiber hochgejubelt – und Österreicher ist er obendrein. Da freut sich der Boulevard, wo er schon als der sehnlich erwartete Nachfolger seiner großen Landsleute Karl Böhm und Herbert von Karajan gefeiert wird, obwohl er trotz seiner jungen Jahre, er ist gerade einmal dreißig, nur ganz selten auftritt. Offiziell wegen eines Rückenleidens, aber man munkelt von einer sehr labilen Psyche. Deshalb herrscht auch künstlerischer Ausnahmezustand, wenn er einmal dirigiert. Dabei lebt er in Wien. In meinen Augen ist das alles nichts weiter als raffiniertes Kalkül. Wer sich rarmacht, gilt als was Besonderes. Das wusste der Carlos Kleiber auch schon.«
»Und wann soll die Premiere stattfinden?«
»Am Samstag nächster Woche.«
»Bis dahin sind es zehn Tage, da bleibt ihm ja noch genügend Zeit, abzusagen … «
»Das wäre nicht klug, glaub ich«, sagte Walz mit erhobenem Zeigefinger, »denn die Premiere wird, erstmals in der Geschichte der Wiener Staatsoper übrigens, weltweit in die Kinos übertragen. Da hängt zu viel Geld dran. Andererseits ist ihm alles zuzutrauen, der ist sogar schon einmal während einer Vorstellung davongelaufen, weil ihm irgendetwas nicht gepasst hat. Wenn er das aber diesmal tut, ist er, denk ich, zwar weltberühmt, aber auch endgültig erledigt. Stell dir vor, die ganze Welt schaut zu, und er läuft einfach davon. Was da an Regressforderungen anfällt. Ich bin sicher, er wird auftreten – und es wird als Sternstunde gelten, egal wie er dirigiert! Denn alle werden aufatmen, dass er dieses Mal nicht davon gelaufen ist.«
»Und wenn er so nervös ist, dass er schlecht dirigiert?«
»Das wird fast niemand bemerken, wenn er nicht einen totalen Blackout hat,was bei einer so gängigen Oper wie der ›Traviata‹ eher unwahrscheinlich ist. Das ist eben der Vorteil eines Kapellmeisters: Wenn der was falsch macht, merkt das außer den Musikern niemand. Und die werden sich hüten, diesen Fehler nicht
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