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Haut, so weiß wie Schnee

Haut, so weiß wie Schnee

Titel: Haut, so weiß wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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abzunehmen. Das einzige Problem war, es trocknete nicht richtig.
    Das Taschentuch hatte magische Kräfte. Es legte sich lindernd auf eine Wunde in ihrem Herzen. Es war zwar nicht ihre eigene Mutter, die es gestickt hatte, aber es war in gewisser Weise auch für sie. Es war ein Zeichen. Es bedeutete wenig und viel zugleich. Sie hatte sich noch am selben Tag vor den Spiegel gestellt und sich von oben bis unten betrachtet. Das war sie. Jette Lindner. Lina Sandwey. Jella. Der Name, den Jonah nicht mehr in den Mund nahm. Sie sah so aus, wie ihre Mutter sie geboren hatte. Und sie hatte sich schön gefühlt. Zum ersten Mal in ihrem Leben. Wer ist die Schönste im ganzen Land?, hatte sie den Spiegel grinsend gefragt, und obwohl er ihr nicht antwortete, hatte sie dann Klara angerufen und gefragt, ob sie mitgehe, einen Bikini kaufen.
    Da war die Hütte. Jette schob den Glasperlenvorhang zur Seite und trat ein. Im Innern roch es nach Amarettosoufflés. Jonah hatte seinen Vater also rumgekriegt. Er musste welche vorbeigebracht haben. Die Soufflés standen unter einer Wärmehaube auf dem Tisch. Bisher hatte sich Jonahs Vater immer geweigert, Amarettosoufflés mitzubringen. Er hatte zwar schon ein paarmal in der Küche seines Hotels welche gebacken, aber immer behauptet, man müsse sie sofort essen, da sie nicht mehr schmeckten, wenn man sie längerstehen ließ. Jette holte sich einen Löffel und probierte. Das Soufflé war weich wie eine Wolke, schmeckte nach Vanille und Mandeln. Und es war sogar noch warm.
    Die Post lag neben der Wärmehaube. Es war ein richtig dicker Stapel. Erstaunlich, wie viele Briefe und Karten seit ihrem Abflug angekommen waren. Eigentlich wollte sie die Post erst unten am Strand durchsehen, aber jetzt war sie auf einmal so neugierig, dass sie nicht mehr warten konnte.
    Ganz oben lag eine Postkarte von Charlie, die mit ihrer Tante an der Nordsee war. Dukie hatte einen ausführlichen Brief geschickt. Ob sie eigentlich nicht ihre Mails läsen, war das Erste, was er fragte. Dann erzählte er, dass sein Vater die Entführung gestanden hatte und in U-Haft saß. Außerdem habe sein Vater nach ihm gefragt. Wahrscheinlich das erste Mal in seinem Leben, meinte Dukie sarkastisch. Er schrieb auch, dass er seinen Großvater zum Flughafen gebracht hatte. Der alte Mann sei ziemlich verstört gewesen und habe, wie auch in den Tagen nach dem Brand, kaum geredet.
    Des Weiteren war da noch eine Postkarte von Anna, ohne Briefmarken, die sie Jettes Vater vermutlich vor dessen Abflug selbst vorbeigebracht hatte. Und Klara berichtete amüsiert, dass die Presse jedes Interesse an Jette verloren habe. Jettes Idee, den Zeitungen ein Windpockenbild von ihrem Gesicht zu schicken, wäre genial gewesen.
    Und es gab noch mehr Post: Die Polizei hatte sich gemeldet. Jette riss den Brief auf. Der Polizeipräsident entschuldigte sich bei ihr und ihren Eltern, dass seine Beamten das Erdloch in der Villa nicht gefunden hatten. Man hätte den Hohlraum zwar geortet, wäre aber fälschlicherweise davon ausgegangen, dass er zur Tiefgarage gehörte. Dann ein Brief von Norbert Königssohn. Er hatte der Presse mitgeteilt, dasses die genetische Mutation, nach der Dr. Saalfeld gesucht hatte, nicht gebe. Und viele weitere Briefe von Menschen, die sie nicht kannte und die an ihrem Schicksal Anteil nahmen.
    Außerdem lag in dem Stapel noch ein großer, bereits geöffneter Umschlag, der an ihren Vater adressiert war und eine Briefmarke aus einem fremden Land trug. »Was soll ich antworten?«, hatte ihr Vater mit Filzstift auf den Briefumschlag geschrieben. Jette zog das Schreiben heraus. Der Brief war auf Englisch verfasst und auf persönlichem Briefpapier ausgedruckt. Er hatte einen eindrucksvollen Briefkopf – sogar mit Wappen. Jette schaute genauer hin: ein Greifvogel, der zum Flug ansetzte. Ihre Augen flogen über den Text. Ein bisschen verstand sie sogar. Jette klemmte sich alles unter den Arm, griff nach dem Behälter mit den Soufflés und dem Eis für Jonah, das inzwischen bedenklich weich war, und machte sich auf den Weg zurück zum Strand.
    »Was schreiben die Leute denn sonst noch so?«, fragte Jonah, während er sein Eis lutschte und dazu Soufflé löffelte.
    »Die neue Wohnung von Charlies Mutter hat wieder ein Blümchenklo. Fast genau so eines wie in der alten«, sagte Jette in einem Plauderton.
    »Aha.«
    »Klara hat sich für ein Schulpraktikum bei einer Schlosserei beworben.«
    »Was will sie denn da?«
    »Keine Ahnung, ist doch egal.

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