Haveljagd (German Edition)
Testament befand, dann hat sie doch, was sie wollte. Warum hat sie dann Tim entführt?«
Manzetti machte einen spitzen Mund, wie eine Grundschullehrerin, die zum dritten Mal fragt: Was ist fünf plus fünf?
»Bremer, weil sie ihn aus dem Weg räumen muss. Es geht doch nicht nur um das Testament. Tim ist der lebende Beweis für die Leihmuttergeschäfte. Lebend macht er dieser Truppe alles kaputt.«
»Sie meinen, die Leffler hat mit all dem zu tun? Ich denke die Freifrau ist der Kopf der Bande.«
Manzetti überlegte einen kurzen Moment. »Wer von beiden die treibende Kraft ist, das werden wir noch sehen, aber Karin steckt da bestimmt mit drin. Denken Sie doch mal nach. Sie haben mir selbst erzählt, dass Sie mit Ihrer Frau einen Psychotherapeuten aufgesucht haben, weil die Kinderlosigkeit Sie sehr bedrückte. Es ist doch gut möglich, dass das heute auch noch so läuft. Man geht also zu Frau Leffler und wird an Frau von Woltersbrück vermittelt.«
Bremer pfiff wieder durch die Zähne. »Eine nette Symbiose. Und was suchen wir jetzt hier?«
Manzetti richtete den Lichtkegel seiner Taschenlampe auf eine kleine Schrankwand. »Das weiß ich auch noch nicht. Hoffen wir mal auf deutsche Gründlichkeit.«
Die Beschriftungen der Aktenordner in den Regalen schienen ihn nicht zu inspirieren, sie in die Hand zu nehmen. Aber als er sich nach rechts drehte, blieb der helle Lichtschein an einer von drei verschlossenen Schranktüren hängen, der einzigen, in der kein Schlüssel steckte.
»Hier, halten Sie mal!« Er reichte Bremer die Taschenlampe. Dann setzte er wieder einen seiner Dietriche an und hatte bereits beim zweiten Versuch Erfolg.
»Siehe da«, tönte er. »Sag ich’s doch. Deutsche Gründlichkeit.« Er zog einen Ordner heraus, auf dem »Ärztekammer« stand und schlug ihn auf. Bremer stellte sich jetzt neben Manzetti und leuchtete auf die abgehefteten Blätter.
»Das ist jetzt nicht wahr, oder?« Bremer sah kurz auf, und betrachtete Manzetti mit dem Ausdruck stiller Bewunderung. »Sie haben mal wieder den richtigen Riecher gehabt.«
»Offensichtlich. Aber damit hätte ich auch nicht gerechnet.«
Bremer las Zeile um Zeile. »Na, dagegen bin ich ja noch ein richtiger Waisenknabe«, stellte er fest und blätterte um.
»Wieso?«
»Ich bin nur suspendiert. Der guten Frau hat man sogar die Approbation entzogen.« Er schüttelte entrüstet den Kopf. »Zeigen Sie mal warum.«
»Später«, sagte Manzetti. »Jetzt sollten wir lieber verschwinden. Wenn sie wirklich mit drinhängt und uns hier findet, dann bringen wir Tim und Werner in noch größere Gefahr.«
Manzetti schloss alle Türen wieder ab und ging mit Bremer an der Seite und dem Aktenordner unter dem Arm zurück zu Sonja.
»Habt ihr was gefunden?«, fragte sie im gehetzten Flüsterton eines kriminellen Bandenmitgliedes.
»Ja.« Manzetti warf den Ordner auf die Sitzbank im Fond von Sonjas Auto. »Das reinste Dynamit.«
26
Die Schritte klangen dieses Mal anders. Es fehlte das Schlendern, jenes gemäßigte Aufsetzen der Stiefelsohlen auf den Boden. Hier rannte jemand und sprang die steilen Stufen hinunter, gleich zwei oder sogar drei auf einmal nehmend.
Michaelis setzte sich mit dem Rücken an die Wand und zog Tim fest an sich. »Es wird alles gut. Hab keine Angst.«
Aber davon war Tim ohnehin meilenweit entfernt. Er war überzeugt davon, dass alles gut werden würde, denn er glaubte ganz fest an die Fähigkeiten seiner Mutter. »Sie hat uns gefunden und nun kommt Christian und holt uns.«
»Christian? Welcher Christian?«
»Na, Mamas Freund. Christian.«
»Ach du meinst den Förster?«
»Ja.«
Aber Michaelis wusste es besser. Auch wenn Christian Höppner bereits bewiesen hatte, dass er in der Lage war, in den unmöglichsten Situationen aufzutauchen, gehörte das Getrappel eindeutig zu Kutzner. Der war nur noch wenige Meter von ihnen entfernt, und Michaelis blieb kaum genug Zeit, seinen kürzlich gefassten Entschluss in die Tat umzusetzen. Trotzdem musste es sein, und zwar jetzt.
»Wo wollen Sie denn hin?«, fragte Tim, als sich Michaelis unter lautem Stöhnen aus seiner Embryonalstellung in die Waagerechte begab und dann auch noch aufstand.
»Gib mir mal dein Taschenmesser«, forderte er Tim auf.
»Welches?«, fragte der.
»Wie viele hast du denn mit? Du hast mir doch vorhin bloß eins gezeigt.«
»Ich hab zwei. Mein eigenes und das von Opa.«
»Welches ist größer?«
»Das von Opa.«
»Dann gib mir das«, sagte Michaelis und tastete nach
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