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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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gegenüber dicht beieinander auf dem Sofa saß, blieb über mehr als eine halbe Stunde still. Kein Laut, keine Frage, nicht einmal eine Bewegung. Nur die Augenlider taten ihre Arbeit.
    Es war kein ganz unbekannter Anblick für Manzetti. Er hatte ihn schon oft erlebt. Eine solche Erstarrung trat meist ein, wenn er engen Angehörigen die Mitteilung machen musste, dass jemand aus der Familie zu Tode gekommen war oder zumindest in Lebensgefahr schwebte. Aber hier war genau das Gegenteil der Fall. Es entstand Leben, unschuldig, schützens- und liebenswert, und ganz nahe, nämlich im Bauch von Nora, hinter der Wand zum Kinderzimmer. Trotzdem saßen sie hier, wie vor einer Trauerzeremonie.
    „Als ich dachte, dass Lara, dass also meine Tochter schwanger sei, habe ich völlig falsch reagiert. So falsch, wie es nur möglich ist“, gestand er und erzählte weiter von seiner Rage, die sich eingestellt hatte, als er den Brief des jungen Vaters an die noch werdende Mutter gelesen hatte, mitsamt seiner unheilvollen Botschaft.
    „Ich bitte Sie, seien Sie klüger und vor allem liebevoller als ich, als ein Richter und eine Jugendamtsmitarbeiterin.“ Er formulierte diesen abschließenden Wunsch, obwohl er nicht wusste, ob das Ehepaar überhaupt noch in der Lage war, ihm zuzuhören.
    Doch dann erhob sich Noras Mutter, ergriff die Hand ihres Mannes und bedeutete Manzetti mit den Augen, ihnen zu folgen. Der Weg führte über den kleinen Flur in ein geräumiges Jugendzimmer, in dem Nora und Lara dichtgedrängt nebeneinander saßen. Es war eigenartig, denn es war die Situation, die er vorher im Wohnzimmer schon einmal vorgefunden hatte, nur in anderer Besetzung.
    „Herr Manzetti hat uns alles erzählt.“ In der Stimme der Frau schwang etwas, das Manzetti nicht erklären konnte. Aber es war Warmherzigkeit darin, das wusste er. Dann ging sie einen Schritt auf ihre Tochter zu. „Wir werden den kleinen Engel lieben, wie wir dich lieben, Nora.“ Als sie das gesagt hatte, sprang ihre Tochter von ihrer Liege auf und in die Arme ihrer Mutter. Der Vater ging zu ihnen und umarmte seine beiden Frauen und das entstehende, noch winzige Leben. Manzetti nahm unterdessen die Hand seiner Tochter und zog sie aus dem Zimmer.
    Draußen auf der Straße drückte er Laras Hand etwas kräftiger und zog seine Tochter sanft zu sich herum, sodass sie genau vor ihm stand.
    „Entschuldigung, mein Schatz.“ Seine Stimme bebte. Sie war so flattrig wie ein trudelnder Herbstdrachen. „Ich habe alles falsch gemacht, was ein Vater nur falsch machen kann …“ Dann kullerten diesem ein Meter fünfundachtzig großen Koloss literweise Tränen über die Wangen und seine Knie begannen einzuknicken.
    Lara, fünfzehn Jahre alt, zog sich an ihm hoch und küsste seine nassen Lippen. „Du biste die beste Papa von die Welt. Unte iche liebe dich.“

    ENDE

Der A utor
    Jean Wiersch, Jahrgang 1963, lebt mit seiner Frau im Zentrum der Mark Brandenburg, in der Stadt, die dem Land den Namen gab, in Brandenburg an der Havel. Dort spielen auch seine Kriminalromane "Havelwasser", "Havelsymphonie" und "Haveljagd". Nach dem Studium an der Offiziershochschule der Marine war er einige Jahre als Seeoffizier tätig und trat 1994 in die Polizei des Landes Brandenburg ein. Er war Leiter einer Polizeiwache im Havelland, bevor er Anfang 2009 in das Brandenburger Innenministerium wechselte . Er liebt die Berge, hört gerne klassische Musik, ist sportbegeistert und für multikulturelle Strukturen zu begeistern. Der Autor ist Mitglied im Syndikat, der Autorengruppe deutschsprachiger Kriminalliteratur.

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    Tel.: 0561 / 766 449 0, Fax: 0561 / 766 449 29

    Lektorat: Anette Kleszcz-Wagner
    Titelfoto: Uwe Majonek, Brandenburg
    E-Book: Prolibris Verlag
    ISBN: 978-3-95475-043-6
    Dieses Buch ist auch als Printausgabe im Buchhandel erhältlich. 978-3-935263-58-0

    www.prolibris-verlag.de

Ich danke
    dem Journalisten Peter Wensierski, der mit seinem Buch „Schläge im Namen des Herrn“ (2006) einen Appell wider das Vergessen geschaffen hat. Sein Werk über das Schicksal tausender ehemaliger Heimkinder in der Bundesrepublik hat mich nicht nur inspiriert, es hat mich gepackt und gleichzeitig erschüttert.
    Mein Dank gilt aber auch vielen Freunden und Bekannten, die zum Gelingen der

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