Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
Vom Netzwerk:
zappeln lassen, zwei oder drei Tage lang, so wie sie es bisher immer getan hatte und wie es mit ihrer besten Freundin besprochen war. Sie wollte ihn endgültig loswerden.
    Mittlerweile waren sie bis zur Ecke Grabenstraße gekommen, wo er nun schweigend neben ihr hertrottete. Eigentlich hätte sie jetzt geradeaus in die Kurstraße laufen müssen und von dort weiter über die Hauptstraße und den Neustädtischen Markt bis ins Deutsche Dorf. Aber sie hatte Spaß daran, eigene Entscheidungen zu treffen, solche, die ihm signalisierten, dass sie ihn gar nicht brauchte und eigentlich sogar besser ohne ihn klarkam. Deshalb bog sie nach rechts in die Grabenstraße ab, direkt in Richtung des Theaters.
    „Gabi, was soll das denn nun wieder? Komm doch mit nach Hause, du wirst dich noch erkälten ohne Jacke.“
    Sie tat so, als hörte sie ihn gar nicht, und ging stur weiter. Nur nicht reagieren, war jetzt die Devise. Ihre ganze Konzentration galt einzig seinen Schritten. Folgte er ihr oder wagte er es wirklich, geradeaus zu gehen?
    Sie musste sich sehr anstrengen, denn der laute Wind verschlang fast alle Geräusche um sie herum. Aber sie wollte sich auch nicht umdrehen um zu sehen, wohin er lief, das hätte ihrer gerade ersonnenen Demonstration weiblicher Stärke womöglich geschadet. Nur ganz leicht wandte sie deshalb ihren Kopf über die linke Schulter, gerade so weit, dass ihr Ohr ihm zugewandt war und sie seine Schritte hinter sich hören und daraus schließen konnte, dass er nicht weiter in Richtung Kurstraße gelaufen war.
    Schnell drehte sie sich wieder nach vorn, rieb sich die Augen und wischte damit auch gleich die Wimperntusche breit. Als sie wieder klar sehen konnte, tauchte neben ihr der Eingang der Theaterklause auf, und vor ihr lag das Große Haus des Cultur und Congress Centers.
    Aber es war nicht der Anblick der Theaterklause, der sie plötzlich erstarren ließ und ihr zusätzlich zur bitteren Kälte neue Gänsehaut über die Arme trieb, und es war eine ganz andere Szenerie, die ihrer Kehle einen markerschütternden Schrei entrang.

2
    Eine halbe Stunde nachdem Frau Manter entgegen ihrem eigentlichen Vorhaben doch wieder in die Arme ihres Mannes gesunken war, standen beide im gleißenden Licht vieler Scheinwerfer. Nur der Theaterpark, jener grüne Lungenflügel, der die Grabenstraße zu einer Seite hin begrenzte, lag noch im Dunkeln der sich langsam verabschiedenden Nacht. Frau Manter hatte vorerst ihren Ärger über die wilde Tanzerei des Gatten beiseitegelegt und inzwischen auch vergessen, dass ihr entsetzlich kalt gewesen war, denn über ihrer nassen Bluse trug sie einen dick gefütterten Parka mit der breiten Aufschrift POLIZEI.
    Hauptkommissar Andrea Manzetti beachtete das Ehepaar nicht. Später, erst nachdem er einen Gesamteindruck gewonnen haben würde, wollte er sich mit den beiden befassen. Bis dahin, war er sich sicher, war durch Sonja Brinkmann all das aufgeschrieben, woran die Manters sich erinnern konnten.
    So stand Manzetti etwas abseits und betrachtete regungslos die bizarre Szenerie. Er lehnte mit tief in den Manteltaschen vergrabenen Händen rücklings an einem Auto, das irgendjemand mit dem Heck bis an die große Strauchhecke gefahren hatte. Die hatte längst alles Grün abgeworfen, was aber für einen ersten November auch nicht ungewöhnlich war.
    Er starrte auf den kleinen Platz vor dem Theater, wobei seine Augen sich nur sehr langsam bewegten. Es hatte nichts mit der morgendlichen Müdigkeit zu tun, vielmehr versuchte Manzetti, in die gegenwärtige Situation einzutauchen, mit jedem Atemzug die Atmosphäre aufzusaugen und sich dabei noch nicht in komplizierten Details zu verlieren. War nämlich erst einmal aufgeräumt hier, dann war auch dieser Eindruck verloren. Für immer, denn Fotos waren seiner Meinung nach nicht in der Lage, Stimmungen einzufangen. Jedenfalls nicht die der Polizeifotografen. Dazu bedurfte es Profis, die mindestens einen vernünftigen Bildband veröffentlicht hatten, aber die konnte sich die Polizei nicht leisten. Genau deshalb fuhr Manzetti seit eh und je selbst an die Tatorte, und alle achteten penibel darauf, dass sie nichts anrührten, bevor der Chef dazu seine Erlaubnis erteilte.
    Manzetti begann das Sammeln von Eindrücken links, wo der Eingang des Großen Hauses war. Den hatte er erst vor gut drei Wochen seiner Frau offen gehalten, als sie zum ersten Konzert der Brandenburger Symphoniker in der neuen Spielsaison gekommen waren. Das Orchester war wieder einmal

Weitere Kostenlose Bücher