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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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Schwierigkeiten hatte, sich an Manzettis Oberlehrer-Spielchen zu beteiligen.
    „Genau. Von Carolin Reinhards Vater erfuhr ich, dass er ein Jahr vor dem Tod seiner Tochter nach Dortmund beordert wurde. Zur selben Zeit hielt sich auch Elliott Silbermann dort auf. Reinhard war Richter in Dortmund und an diversen Heimeinweisungen beteiligt, wie auch die Mutter der zweiten Bohème-Toten, Birgit Walter. Sie war vor fünfzig Jahren Jugendamtsmitarbeiterin. Jetzt kommt der dritte Fakt, den wir uns merken sollten.“ Er machte eine rhetorisch gut platzierte Pause. „Reinhard traf, als er in Dortmund ankam, auf eine gewisse Gisela Goldberg, die er vor fünfzig Jahren dort in ein Heim geschickt hatte. Und diese Gisela kündete ihm nun an, ihm das Gleiche anzutun, was er ihr vor geraumer Zeit angetan hatte. Und damit meinte sie nicht die Heimeinweisung.“
    „Und weiter?“, hakte Bremer nach, der immer noch kein Auge von Frau Manter nahm, aber inzwischen neugierig geworden war.
    „Weiter geht es vor fünfzig Jahren. Gisela Goldberg kommt in das Heim der Vincentinerinnen in Dortmund, wo es alles andere als kinderfreundlich zugeht. Dort wurde auch gefoltert …“
    „Andrea!“ Sonja sah das etwas anders, denn mit Folter brachte sie Diktaturen im Irak oder in Südamerika in Verbindung, aber keine Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland.
    „Dort wurden Kinder geschlagen“, lenkte Manzetti ein. Diese Frage wollte er jetzt nicht diskutieren müssen. Trotzdem erntete er von beiden Frauen einen Blick, der ihm unmissverständlich zeigte, dass er sich nach ihrer Auffassung verbal vergriffen hatte.
    „Selbst wenn sie es als Folter empfand, reicht das nicht für diesen Hass.“ Gabriele Manter schlug ein Bein über das andere, wobei ihr Rock ein wenig nach oben rutschte. Aber sie zog auch aus einem anderen Grund alle Blicke auf sich. Aus einem fachlichen. „Wenn sie die Kinder derjenigen tötet, die sie für ihre Heimeinweisung verantwortlich macht, dann muss sie einen unbändigen Hass in sich spüren, der aber kaum durch Schläge entstanden sein kann.“
    „Das glaube ich auch nicht“, räumte Manzetti ein. Deshalb sind Sonja und ich ja nach Dortmund gefahren, um uns selbst einen Eindruck von dem Heim zu machen.“
    „Hat es sich gelohnt?“ Bremer, der noch immer eher einem Pfau mit ausgebreiteten Schwanzfedern glich als einem von wissenschaftlicher Neugier getriebenen Gerichtsmediziner, näherte sich dem Thema langsam wieder.
    „Ja, das hat es. In diesen Heimen wurde wirklich gefoltert. Bevor ihr wieder protestiert, hört euch das mal an.“ Manzetti griff nach seiner Aktentasche und holte das Tagebuch heraus. An der Stelle, wo ein roter Zettel klebte, klappte er es auf und las vor: „Wir bekamen heute ein scheußliches Essen. Es hat überhaupt nicht geschmeckt. Die Nonnen hatten mal wieder in der Küche das ganze Fleisch für sich genommen und uns nur die Fettklumpen gelassen. Ein Mädchen hat bei jedem Bissen gewürgt und musste schließlich kotzen. Die junge Nonne Elisabeth, die immer am brutalsten zuhaut, hat ihr den Rosenkranz vor die Stirn geschlagen und sie gezwungen, das Erbrochene auszulöffeln. Dann musste auch ich kotzen.“ Manzetti sah in die betroffenen Gesichter der beiden Frauen.
    „Das steht alles in einem Tagebuch einer Heiminsassin, mit der ich gestern geredet habe.“ Manzetti ließ die anderen einen Augenblick in Ruhe. Dann blätterte er um. „Ich habe immer gehofft, dass keine Nonne unter mein Bettlaken guckt und das Bild meiner Mutter findet. Heute kam mir Elisabeth eklig grinsend auf dem Flur entgegen und hat mich sogar geschubst. Sie hat ganz fies gelacht. Neben meinem Bett lagen dann ganz viele Schnipsel. Jetzt habe ich keine Mutter mehr.“ Eine bedrückende Stille machte sich im Raum breit.
    „Das sind nur ein paar Erlebnisse eines jungen Mädchens, und solche Erfahrungen hat mit Sicherheit auch Gisela Goldberg machen müssen. Sie kam vor genau fünfzig Jahren in dieses Heim und war hochschwanger. Trotzdem wurde sie geschlagen und gedemütigt, und als sie ihr Kind endlich zur Welt gebracht hatte, nahm man es ihr sofort weg.“
    „Sie durfte dem Kind nicht einmal einen Namen geben“, ergänzte Sonja. „Das erledigten die Nonnen selbst. Sie nannten es Franziska.“
    Ein Dramaturg hätte es nicht besser hinbekommen. Selbst Bremer schien seinen hormonellen Ausnahmezustand überwunden zu haben. „Und jetzt erzählen Sie mir nicht, dass diese Franziska an ihrem dreißigsten Geburtstag

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