Hawaii
damit der Mißbrauch der Steuergelder nicht zu offensichtlich wurde; aber im Grunde stellte die Englische
Normalschule nur ein weiteres Mittel dar, um die Asiaten auf den Plantagen festzuhalten, wo sie hingehörten. So sagte auch Hoxworth Hale, als er im Erziehungsausschuß seine Stimme für die Errichtung dieser Schulen abgab: »Wir dürfen die Feldarbeiter nicht zu mehr ausbilden, als sie sind.«
Die Englische Normalschule in Honolulu hieß Jefferson - ein vorzügliches Institut mit guten Spielplätzen, Laboratorien und erstklassigen Lehrern. Mit großer Besorgnis erwarteten japanische Väter wie Kamejiro die Ergebnisse der Aufnahmeprüfung ihrer Kinder in Jefferson. Fast kein japanisches Kind fand Aufnahme, und Kamejiro warnte: »Seht! Ihr faulen Kinder, die ihr nicht lernen wollt. Keiner von euern Freunden ist in der guten Schule angenommen worden. Aber ihr werdet hineinkommen, denn von jetzt an wird doppelt soviel gelernt wie bisher.« Nach seinem klugen Erziehungsplan mußten seine fünf Kinder an jedem Sonntag zwei christliche Kirchen besuchen und auf das gute Englisch der Prediger hören. Bei jedem öffentlichen Vortrag war Kamejiro mit seinen fünf Kindern zu finden. Er verstand kein Wort von dem, was gesagt wurde; aber wenn er die jungen Schüler nach Hause gebracht hatte, mußten sie sich im Kreise um ihn setzen und ihm wiederholen, was vorgetragen worden war, und zwar im selben Tonfall des Sprechers. Binnen kurzem beherrschten Reikochan und Goro die englische Sprache perfekt.
Der Widerspruch in der Erziehung der Sakagawa-Kinder hätte nicht mehr größer sein können. In der amerikanischen Schule lernten sie, daß alle Menschen gleich waren, aber ihr Vater zeigte ihnen, wer die Etas und die Leute aus Okinawa waren. In der japanischen Schule lernten sie klassisches Japanisch und wurden geschlagen, wenn sie Fehler machten, aber zu Hause hörten sie sich gegenseitig englische Vokabeln ab. Ihre Eltern verstanden kaum ein Wort dieser Sprache, aber sie verlangten, daß die Kinder miteinander englisch sprachen. Es war eine verrückte, widersprüchliche Welt, aber sie hatten die eine
Genugtuung: Wenn sie mit anderen Kindern zusammen waren, dann sprachen sie unbekümmert ihr zügelloses, freies Pidgin, dessen gedehnte Silben im Ohr wie das Rauschen des Meeres an der Küste klangen. Als Reikochan zu einem hübschen, schlanken, helläugigen Mädchen von zwölf Jahren
herangewachsen war, war sie bereit, sich der unerhört
schwierigen Sprachprüfung für die Aufnahme an der
bevorzugten Jefferson-Schule zu unterziehen. Ihre Eltern wuschen sie mit besonderer Sorgfalt, zogen ihr ein weißes Faltenkleid an und polierten ihr die Schuhe. Kamejiro wollte sie begleiten, doch sie bat ihn, zu Hause zu bleiben, mußte dann aber, als sie nach Jefferson kam, feststellen, daß ihr Vater erforderlich war. Sie rannte zurück, um ihn zu holen, und als ihre Mutter sah, wie erhitzt sie war, wurde sie noch einmal gebadet. An der furchtsamen Hand ihres Vaters kehrte sie dann nach Jefferson zurück, wo eine Lehrerin Reikos
Grundschulzeugnis in die Hand nahm und schweigend las: »Reiko Sakagawa. Leistungen 1. Betragen 1. Amerikanische Bürgerkunde 1. Englisch 1.« Die Prüferin lächelte und reichte das Zeugnis den anderen Mitgliedern des Ausschusses weiter. Aber eine von diesen hatte einen anderen Bericht über das Sakagawa-Mädchen vor sich, und darauf stand nur: »Vater Abortreiniger.«
»Wie verbringst du in diesem Sommer deine Tage?«fragte die erste Lehrerin. Reiko antwortete mit einer süßen, klaren Stimme und gab jeder Silbe die richtige Betonung: »Ich helfe meiner Mutter bei der Wäsche. An den Sonntagen gehe ich zur Kirche. Und wenn wir einen Ausflug machen, helfe ich meinen Brüdern beim Anziehen.«
Die drei Lehrerinnen waren von der Genauigkeit beeindruckt, mit der das kleine Mädchen ihre Rede vorbrachte. Offensichtlich gehörte sie in die beste Schule, die eine Gemeinde nur zu bieten hatte, und die erste Lehrerin wollte schon auf dem Prüfungsformular >Aufgenommen< eintragen, als ihr die dritte
Lehrerin zuflüsterte: »Haben Sie das gesehen? Ihr Vater?« Das verruchte Blatt wurde von Hand zu Hand gegeben, und die Lehrerinnen nickten. »Durchgefallen«, schrieb die erste. Dann wandte sie sich lächelnd Reikochan zu und erklärte: »Wir werden dich nicht in Jefferson aufnehmen, meine Liebe. Wir meinen, du sprichst ein wenig zu behutsam -
Weitere Kostenlose Bücher