Hawaii
und erhielten ihre - wie der Lehrer es nannte - wahre Erziehung.
Viele Einwände wurden gegen die sogenannte japanische Sprachschule laut, und es bestand kein Zweifel darüber, daß der Priester seinen Schülern sein Pensum antiamerikanischer, schintoistischer, nationalistischer Lehren beibrachte. Dafür kam aber auch in jenen Jahren kein einziges Kind, das diese Schule besuchte, in Schwierigkeiten mit der Polizei. Unter den Japanern gab es keine Verbrecher. Man gehorchte den Eltern und respektierte die Lehrer. In den japanischen Schulen wurde strenge Rechtlichkeit gefordert und durchgesetzt, und mancher Zug der bürgerlichen Verantwortlichkeit, der die erwachsene japanische Bevölkerung auszeichnete, schrieb sich von diesen strengen Nachmittagsstunden her. Seltsamerweise behielten die Kinder aber kaum etwas von dem chauvinistischen Unsinn, den der Lehrer ihnen beibrachte. Die wenigsten wollten je nach Japan zurückkehren. Aber alle lernten, die bestehende Ordnung zu respektieren. Es schien, als stehe ein Kind, nachdem es vormittags die großen Freiheiten der amerikanischen Schule genossen hatte, dem nationalistischen Mischmasch des Nachmittags unbeteiligt gegenüber. Und die meisten japanischen Kinder eigneten sich wie die Sakagawas das Beste beider Schulen an, ohne durch die Schattenseiten einer jeden verdorben zu werden.
Ihre wirkliche Erziehung erhielten sie aber zu Hause. In der winzigen Kakaako-Hütte, die schon eine dreiköpfige Familie ausgefüllt hätte, brachte die Mutter ihnen die Regeln peinlicher Sauberkeit bei, die sie selber als Kind gelernt hatte. Nichts durfte auf dem Boden liegenbleiben. Kein Geschirr blieb ungespült. Die Eßstäbchen wurden so gehandhabt, daß nichts herunterfiel. Kleider wurden ordentlich verstaut, und das Kind, das nicht mindestens einmal täglich badete, war ein hoffnungsloser Barbar und nicht besser als ein Chinese. Der Einfluß des Vaters war überall zu spüren. Für ihn war die Welt unmißverständlich in Gut und Böse geschieden, und er mußte nie lange überlegen, unter welche Kategorie eine Handlung fiel. Es war gut, sein Vaterland zu ehren; es war gut, tapfer zu sterben; es war gut, auf das zu hören, was die Vorgesetzten sagten; es war gut, studiert zu haben. Er führte ein Leben äußerster Schicklichkeit, in dem Diebstahl böse war wie auch das Glücksspiel, die Widerrede und das Zerreißen von Kleidern. Er war streng in seinen Forderungen, aber er schlug seine Kinder kaum je, sondern vertraute auf die Kraft seines Vorbilds. Er liebte seine Kinder, als wären sie geheimnisvolle Engel, mit denen zu leben ihm eine Weile vergönnt war, und wenn auch in der ärmlichen Hütte zuweilen das Essen fehlte, nie fehlte die Liebe. Die Kinder trieben unsinnige Spaße, die ihre Eltern nicht verstanden. Reikochan kannte eine Reihe von Scherzen, die ihre Brüder mit lautem Gelächter begrüßten, sooft sie sie wiederholte: »Wie sagt der Hut zum Nagel an der Wand? Du bleibst zu Hause, und ich geh' über Land.« Sechsmal in der Woche konnten die Jungen darüber schreien vor Lachen. »Wie sagt der Teppich zum Boden? Rühr dich nicht, ich hab' dich schon zugedeckt!« Oder: »Wie sagt der große Zeh zum kleinen Zeh? Sieh dich nicht um, die Ferse folgt uns.«
Die Jungen kannten derbere Spiele. So packte Goro einen Bruder beim Ohr und fragte liebenswürdig: »Möchtest du dein Ohr länger oder kürzer?« Im einen Fall tat Goro so, als hiebe er es ab, im anderen zog er kräftig daran und jauchzte: »Gut, ich mach' es länger!« Das führte gewöhnlich zu einer Prügelei, worauf Goro es nur abgesehen hatte.
Aber in zwei grundsätzlichen Dingen verstanden die Sakagawa-Kinder keinen Spaß. Niemand durfte sie >Japs< nennen. Dieses Wort erschien den Japanern so beleidigend, daß sie es einfach nicht ertragen konnten, denn in ganz Amerika wurde es auf Schlagzeilen und in Trickfilmen gebraucht, um kriecherische, böse, kleine Wichte mit Pferdezähnen und OBeinen zu bezeichnen. Kein Haole konnte die Wut verstehen,
die der Gebrauch dieses Namens bei den Japanern hervorrief.
Ferner duldeten sie nicht, daß man sie schlitzäugig nannte. Sie sagten: »Unsere Augen sind nicht geschlitzt! Wir haben bloß keine Falte an unserem Lid, und das ist der Grund, weshalb man sie geschlitzt nennt.« Aber sie hatten natürlich unrecht. Reikochans kleine Augen waren lieblich geschlitzt und ihre Augenwinkel in kecker Weise nach oben gebogen. Sie war es, die eines der lustigsten Spiele aus der Schule nach Hause
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