Hawkings neues Universum
„Und wir beobachten die Übereinstimmung des thermodynamischen und des kosmologischen Pfeils, weil es intelligente Wesen nur in der Ausdehnungsphase geben kann. Die Kontraktionsphase wird für Geschöpfe wie uns ungeeignet sein, weil sie keinen ausgeprägten thermodynamischen Pfeil hat.“ Dieser letzte Satz hat es freilich in sich: Denn er ist sowohl ein Eingeständnis eines Fehlers als auch dessen Korrektur.
Wenn die Zeit rückwärts läuft
„Was geschähe, wenn das Universum in seiner Ausdehnung innehielte und anfinge, sich zusammenzuziehen? Würde der thermodynamische Pfeil sich umkehren und die Unordnung mit der Zeit abnehmen?“, fragte sich Hawking bereits Anfang der 1980er-Jahre. Und damit war er nicht der erste.
Manche Forscher nehmen tatsächlich an, dass sich die Zeit einmal umkehren wird. Entweder global oder sogar lokal, das heißt an einzelnen Stellen im All. Und vielleicht lauern zeitverkehrte Inseln bereits in unserer Nähe. Mit dieser kühnen Hypothese sorgte Lawrence S. Schulman für Aufregung, der an der Clarkson University in Potsdam, US-Bundesstaat New York, forscht. Analog zum Kosmologischen Prinzip – „Unsere räumliche Position im Universum ist Durchschnitt“ – spricht er von einem Temporalen Kosmologischen Prinzip: „Unsere Zeitrichtung ist nichts Besonderes.“
Im Computer simulierte Schulman, wie sich zwei einfache Teilchensysteme mit niedriger Entropie – also einem geordneten Arrangement beispielsweise in der Ecke einer großen Kiste – im Lauf der Zeit verändern, das heißt ihre Entropie und somit den Grad der Unordnung erhöhen. Der Witz dabei: Schulman startete die Entwicklung der beiden Systeme räumlich getrennt in derselben „Kiste“, aber mit entgegengesetzten Zeitpfeilen. Das heißt, die Zeitrichtung des einen Systems zeigte aus der Perspektive des anderen jeweils von der Zukunft in die Vergangenheit. Während sich die beiden Systeme auf Grund der Zufallsbewegungen ihrer Teilchen zu immer größerer Unordnung hin entwickelten, kamen sie auch in räumlichen Kontakt. Mit einem Parameter simulierte Schulman dabei unterschiedliche Grade der Wechselwirkung bei verschiedenen Rechnungen. „Wenn zwei Regionen stark miteinander interagieren, muss mindestens eine von beiden ihren Zeitpfeil verlieren“, sagt er. Doch bei schwächerer Wechselwirkung blieben die gegenläufigen Zeitpfeile zu seiner großen Verblüffung erhalten. „Ich hatte nicht vermutet, dass dies herauskommen würde, als ich mit meiner Arbeit begann. Das Ergebnis überraschte mich so sehr wie jeden anderen Kollegen. Das Resultat entstand wie durch Schwarze Magie. Aber es ist keine Magie, sondern eine Folge der Gleichungen.“
Und diese Zauberei braucht keineswegs auf ein einfaches künstliches System beschränkt zu sein, sondern könnte das ganze Universum betreffen. Darüber hat Thomas Gold schon 1958 spekuliert. Der Kosmologe an der Cornell University – einer der Väter des Steady-State-Modells – vermutete, dass der Zeitpfeil mit der Ausdehnung des Weltraums zusammenhängt und sich umkehren könnte, wenn das All sich wieder zusammenzieht. Diese Kontraktion zu einem Endknall erscheint unvermeidlich, wenn die Gesamtmasse des Universums einen kritischen Wert übersteigt oder wenn die Energiedichte des Vakuums negativ ist. Zwar sprechen die astronomischen Beobachtungen der letzten Jahre nicht dafür, aber die Kollaps-Möglichkeit wird sich vermutlich niemals völlig ausschließen lassen.
Unabhängig davon, ob der Kollaps kommen wird oder nicht: Die Erforschung der Konsequenzen eines kontrahierenden Universums hat für die Physik der Zeit und besonders des Zeitpfeils eine große Bedeutung. „Die entscheidende Frage ist hier, ob Golds Vorstellung von der Zeitumkehr in einem zusammenstürzenden Universum einen Sinn hat oder nicht – und nicht, ob unserem Universum tatsächlich ein Endknall bevorsteht“, sagt der australische Philosoph Huw Price, der ein viel beachtetes Buch über das Problem des Zeitpfeils geschrieben hat. „Falls der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik seine Richtung umkehrt, wenn das Universum kontrahiert, würde das Universum in ein Zeitalter der Wunder eintreten. Strahlung würde in Sternen zusammenlaufen, Äpfel würden sich in Komposthaufen bilden und zu Bäumen aufsteigen, und Menschen würden aus ihrer Asche auferstehen, jünger werden und schließlich ungeboren werden.“
Auch Hawking malte sich ein solches Szenario aus: „Das würde für die Menschen, die die
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