Hawkings neues Universum
Zahlen
„Wir messen Schatten, wir suchen mit gespenstischen Messfehlern“, sagte Hubble im Jahr 1935. Er wusste genau, wovon er sprach. Denn aus seinen Messungen hatte er ein Alter des Universums von zwei Milliarden Jahren errechnet – im krassen Widerspruch zur Existenz der Erde und der Sterne, die viel älter sind.
Die dem Astronomen zu Ehren genannte Hubble-Konstante H o – die aktuelle Expansionsrate des Weltraums – ist zugleich ein Maß für das Alter des Universums. Würde dieses überhaupt keine Materie enthalten, wäre der Kehrwert von H o , also 1/H o , das Weltalter. Dieser Wert ist jedoch zu hoch, weil unser Universum nicht materiefrei ist und seine Expansion seit dem Urknall deshalb abgebremst wurde. Die Hubble-Konstante war früher also größer – folglich ist sie gar nicht konstant, sondern strenggenommen ein zeitabhängiger Parameter. Hätte das Universum die kritische Dichte, das heißt gerade so viel Materie, dass die Raumausdehnung in unendlicher Zeit zum Stillstand käme, aber niemals zu einer Umkehr führen würde, die das Universum schließlich in einen Endknall kollabieren ließe, dann betrüge das Weltalter nur zwei Drittel des Kehrwerts der heutigen Hubble-Konstante, 2/3H o . Noch komplizierter wird es, wenn die Kosmologische Konstante nicht null ist.
Kosmologie: die Suche nach zwei Zahlen lautete der Titel eines wissenschaftlichen Artikels aus dem Jahr 1970. Verfasst hat ihn Allan Sandage von den im kalifornischen Pasadena gelegenen Observatorien der Carnegie Institution in Washington. Er war Hubbles Nachfolger am Mount Palomar-Observatorium, dem damals größten Teleskop der Welt. Sandage hat einen beträchtlichen Teil seiner Forscherlaufbahn diesen beiden Zahlen gewidmet: der Ausdehnungsrate des Weltalls und ihrer Veränderung im Lauf der Zeit. Bis in die 1990er-Jahre gab es teils heftige Kontroversen über den Wert von H o . Das Hubble zu Ehren benannte Weltraumteleskop war nicht zuletzt deshalb gebaut worden, um die kosmische Expansionsrate genauer zu messen. Das letzte Wort ist zwar noch nicht gesprochen, aber die meisten Bestimmungen von H o konvergieren inzwischen bei etwa 70 Kilometer pro Sekunde und Megaparsec. Das bedeutet: heute dehnt sich der Weltraum zwischen den Galaxienhaufen um rund 70 Kilometer pro Sekunde aus bezogen auf eine 3,26 Millionen Lichtjahre lange Strecke. Im Gegensatz zu Sandages Artikel spielen inzwischen freilich weit mehr als zwei Zahlen eine Hauptrolle in der Kosmologie. Dazu gehört, wie erwähnt, auch die Kosmologische Konstante Λ (oder, genauer gesagt, der Wert der mysteriösen Dunklen Energie, hinter der Λ stecken könnte, aber nicht muss).
Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Alle relevanten kosmologischen Parameter sind in den letzten Jahren so genau bestimmt worden, dass die „gespenstischen Messfehler“, von denen Hubble noch sprach, inzwischen weitgehend verschwunden sind. Und so lässt sich auch das Alter der Welt, in guter Übereinstimmung mit dem Alter der ältesten Sterne und anderen Daten, sehr genau angeben: 13,7 Milliarden Jahre. Streng genommen können es die Astronomen inzwischen so genau sagen: Der Urknall hat nicht vor 14 und auch nicht vor 13,5 Jahrmilliarden stattgefunden, sondern vor 13,7.
Urgalaxien auf der Spur
Die Urknall-Theorie besagt, dass das Universum nicht immer gleich war, sondern sich aus einem einfachen heißen Zustand im Lauf der Jahrmilliarden entwickelt hat. Weil das Licht nicht unendlich schnell ist, sondern Zeit braucht, um Entfernungen zurückzulegen, ist ein Blick hinaus in den Raum zugleich ein Blick zurück in die Vergangenheit: Je weiter Astronomen also ins All spähen, desto älter ist der beobachtete Teil des Weltraums. Und tatsächlich sah er vor Jahrmilliarden anders aus: Die Materie war dichter; die Galaxienhaufen begannen sich erst zu entwickeln; die Galaxien kollidierten immer wieder, wuchsen und setzten während ihrer feurigen Jugend ungeheuere Energiemengen frei.
Blickt man noch weiter hinaus – und das ist selbst mit den größten Teleskopen und empfindlichsten Detektoren erst im Ansatz möglich –, dann nimmt die Leuchtkraft des Alls wieder ab. Wann sich die ersten Sterne aus zufälligen Dichteschwankungen im einst fast gleichförmigen Urgas durch die Kraft der Gravitation – und vermutlich unterstützt von „Kristallisationskeimen“ aus Dunkler Materie, aus noch unbekannten Elementarteilchen – gebildet haben, ist noch nicht ganz klar. Wahrscheinlich geschah das bereits 600
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