Hawkings neues Universum
Millionen Jahre nach dem Urknall. Zuvor war es finster. Astrophysiker sprechen vom Dunklen Zeitalter.
Wie Paläontologen immer weiter graben, um die ältesten Relikte aus der Vorzeit zu finden, schauen Astronomen immer tiefer in den Raum hinaus, um die ältesten Objekte im All aufzuspüren. Denn aufgrund der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit ist ein Blick in große Distanzen zugleich einer in die ferne Vergangenheit. Die Teleskope werden gleichsam zu Zeitmaschinen und stoßen inzwischen in die frühesten Epochen des Kosmos vor. Das Ziel: die Erforschung der ersten Sterne und Galaxien.
„Das Hubble-Weltraumteleskop bringt uns fast einen Steinwurf entfernt an den Urknall heran“, sagt HUDF-Projektleiter Massimo Stiavelli vom Space Telescope Science Institute (STScI) in Baltimore, Maryland. HUDF steht für „Hubble Ultra Deep Field“ – und damit hat das Weltraumteleskop sich selbst übertroffen. Bereits 1995 und 1998 hatte es mit zwei Langzeitaufnahmen, die als „Hubble Deep Field“ (HDF) und „HDF-South“ bezeichnet werden, Astronomiegeschichte schrieben. Mit dem 2004 veröffentlichten, viel weitreichenderen HUDF-Bild ist Hubble dann fast an die Grenze zwischen dem Dunklen Zeitalter und der Kosmischen Renaissance herangerückt. Diese Namen – angelehnt an Epochen der europäischen Geschichte – bezeichnen den Übergang von der Finsternis ins Licht, als die ersten Sterne und Galaxien entstanden sind. Dieses Territorium der Raumzeit ist noch immer weitgehend unbekanntes Neuland in der Kosmologie.
Insgesamt eine Million Sekunden lang starrte Hubble auf eine winzige Stelle am Himmel im Sternbild Chemischer Ofen (Fornax) „unterhalb“ des berühmten „Himmelsjägers“ Orion. Nie zuvor hatte das Teleskop mehr Zeit für eine einzige Aufgabe zugeteilt bekommen. Das geschah nicht an einem Stück, sondern verteilt über 400 Erdumläufe im Zeitraum zwischen dem 24. September 2003 und dem 16. Januar 2004 – und war dennoch so lange, dass Steven Beckwith seine ihm als STScI-Direktor zustehende eigene Beobachtungszeit dafür gespendet hat. Und dies bereute er nicht: „Die Qualität der Daten ist besser als alles, was wir mit dem Weltraumteleskop je erreicht haben.“
Das Ergebnis kann sich buchstäblich – und in dieser Tiefe erstmals – sehen lassen: Auf einer Fläche von einem Siebenundsechzigstel des Vollmond-Durchmessers, die selbst mit mittelgroßen Teleskopen quasi „leer“ erscheint, spürte Hubble rund 10.000 Objekte auf. Die meisten davon sind Urgalaxien. Sie sind so fern, dass Hubble nur etwa ein Photon (ein Lichtteilchen) pro Minute von ihnen erhaschen konnte – im Vergleich zu Millionen Photonen pro Minute von näheren Galaxien. Ihre Distanz lässt sich nur schätzen: Bis zu zwölf oder 13 Milliarden Lichtjahre. „Während die HDF-Aufnahmen die Galaxien zeigten, als sie kleine Burschen waren, enthüllt HUDF sie als Krabbelkinder in einem Stadium rascher Entwicklungssprünge“, kommentierte Stiavelli.
Doch selbst mit dem HUDF ist nicht das Ende des kosmischen Panoptikums erreicht. Tatsächlich gelang es Astronomen, noch weiter in Richtung Dunkles Zeitalter vorzustoßen. Die hochgezüchtete Teleskoptechnik macht freilich nur einen Teil des Erfolgs aus. Den anderen Teil verdanken die Forscher der Unterstützung der Natur.
Unter bestimmten Umständen können nämlich die Gesetze der Relativitätstheorie die Lichtgier der Himmelsforscher befriedigen. Das Erfolgsgeheimnis besteht in dem schon von Albert Einstein berechneten Gravitationslinseneffekt. Bei dieser kosmischem Fata Morgana lenkt ein massereiches Vordergrundobjekt – typischerweise eine Galaxie oder ein Galaxienhaufen – das Licht eines viel weiter entfernten Objekts dahinter ab und spaltet es gleichsam in viele geisterhafte Einzelbilder auf oder zieht es gar zu einem Ring auseinander. Seit 1979 haben Astronomen zahlreiche solcher Gravitationslinseneffekte entdeckt. Aber nicht nur zu einer „Verbiegung“ der Lichtbahnen kommt es, sondern auch zu einer Lichtverstärkung oder scheinbaren Vergrößerung des Hintergrundobjekts um einen Faktor von bis zu 100. Gravitationslinsen können also Urgalaxien sichtbar machen, die sonst selbst den empfindlichsten Teleskopen entgehen würden.
Galaktische Fata Morgana: Die Schwerkraft des zwei Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxienhaufens Abell 2218 im Sternbild Drache verbiegt und verstärkt das Licht von noch viel ferneren Urgalaxien hinter ihm. Ursache dieser optischen Täuschung im
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