Hawkings neues Universum
ungewiss, obwohl sie durchaus überprüfbare Aussagen machen können. (An dieser Stelle sei der Vollständigkeit aber noch angemerkt, dass eine Theorie der Quantengravitation nicht einmal notwendig ist, um die Singularitäten zu vermeiden. Denn es gibt, wenigstens im Prinzip, noch weitere Schlupflöcher: zum Beispiel durch spezielle Skalarfelder, durch variable Naturkonstanten oder durch einen extremen negativen Druck etwa aufgrund einer positiven Kosmologischen Konstante wie in kosmologischen Modellen, die schon 1917 der holländische Astronom Willem de Sitter beschrieben hatte.)
Also ist es zwar denkbar, dass die Singularität – als eine Grenze der menschlichen Erkenntnis – nicht „überwunden“ oder „gesprengt“ werden kann. Dann wäre sie ein Endpunkt physikalischer Erklärungen, eine Sackgasse des Naturverständnisses, ein scharfer Schlussstrich für den Versuch, den Ursprung des Universums zu verstehen. Doch ob dies der Fall ist, muss momentan eine offene Frage bleiben. Eine höchst brisante Frage, die an die vorderste Front der kosmologischen Forschung führt.
Falsch wäre es jedenfalls zu sagen, dass das Universum aus der Urknall-Singularität entsprang. Denn diese Krümmungssingularität ist kein Zustand, Gegenstand oder Teil der Natur (sondern allenfalls ein abstraktes Objekt einer physikalischen Theorie). Sie ist kein realer Rand der Raumzeit, sondern vielmehr die Grenze der physikalischen Beschreibung dieser Raumzeit im Rahmen der Relativitätstheorie. Somit gehört die Singularität nicht zum Raum und zur Zeit, und sie markiert daher strenggenommen auch nicht den Anfang der Zeit. In der Singularität scheitert die relativistische Physik und Kosmologie. Aber das sagt noch nicht unbedingt etwas über die Natur aus, sondern nur über die Vorstellung, die sich die Physiker und Kosmologen von ihr machen.
Dass die Urknall-Singularität, die ein Ergebnis einer Theorie ist, durch eine andere Theorie überwunden werden könnte, illustriert folgende Analogie: Trifft Sonnenlicht auf eine Glaslinse, werden die parallel einfallenden Strahlen darin gebündelt und im Brennpunkt hinter ihr fokussiert. Das lässt sich gut mithilfe der Gesetze der Strahlenoptik beschreiben. Allerdings müsste dabei die Energiedichte im Brennpunkt unendlich groß sein – er ist in der Strahlenoptik eine Singularität. Tatsächlich kann es dort so heiß werden, dass sich damit ein Feuer entfachen lässt – doch zu einem unendlichen Temperaturanstieg kommt es nicht. Die Strahlenoptik verliert hier also ihre Gültigkeit. Betrachtet man Licht als ein Wellenphänomen, kann man die Vorgänge auch mit der Wellenoptik beschreiben. Damit lässt sich sogar berechnen, was mit dem Licht jenseits des Brennpunkts geschieht – wie es auseinander läuft und vielleicht auf eine neue Linse trifft. „Die scheinbare Singularität im Brennpunkt bei einer geometrischen Beschreibung bedeutet also nicht, dass dort jegliche physikalische Beschreibung zusammenbricht“, erläutern Thomas Filk und Domenico Giulini in ihrem Buch Am Anfang war die Ewigkeit . Vielmehr verdeutlicht das Beispiel, wie eine Singularität als Artefakt einer unzureichenden Theorie entstehen und durch eine leistungsfähigere Theorie überwunden werden kann. „Ganz ähnlich könnte es auch mit dem Urknall sein“, spekulieren die beiden Theoretischen Physiker von der Universität Freiburg. „Die Beziehung zwischen Strahlenoptik und Wellenoptik ist nämlich durchaus vergleichbar mit der Beziehung zwischen klassischer Physik – der Physik Newtons oder Einsteins – und der Quantenphysik. Sobald wir also eine Quantentheorie der Gravitation besitzen, können wir vielleicht auch die Vorgänge im Big Bang beschreiben.“ Und genau das ist eines der großen wissenschaftlichen Ziele von Stephen Hawking und seinen Kollegen.
Im Prinzip gibt es mehrere Möglichkeiten, die Singularitätstheoreme auszuhebeln:
Das Kausalitätsprinzip könnte zusammenbrechen und der „Anfang“ war in Wirklichkeit eine Zeitschleife, eine kreisförmige Zeit. Oder die Zeit wechselte die Richtung – was immer das auch heißt.
Die Energiebedingungen sind auf eine exotische Weise verletzt, so dass die Inflation oder irgendwelche zyklischen Prozesse sich in eine unendliche Vergangenheit erstrecken oder aber ein kollabierendes Universum im Urknall einen „Umschwung“ machte, ohne dabei in die Singularität zu stürzen.
Die Relativitätstheorie gilt in einem sehr drastischen Sinn im Urknall nicht, weil zum
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