Hawkings neues Universum
ein Teilchen doch nur entweder durch den einen oder durch den anderen Spalt gelangen sollte, aber schwerlich mit sich selbst interferierend durch beide. Wird das Teilchen dagegen zwischen Spalt und Schirm beobachtet, so dass sich sein Weg rekonstruieren lässt, verschwindet das Interferenzmuster.
Bizarre Quantenwelt: Im Doppelspalt-Experiment scheint ein Teilchen beide Wege zu nehmen – das ist, als würde ein Skifahrer mit einem Bein links und mit einem Bein rechts an einem Baum vorbeisausen (gemessene Situation in Teilbild 4 im Gegensatz zum nie beobachteten Muster im Teilbild 3) Mehr zu diesem seltsamen Phänomen im Text.
Das Superpositionsprinzip ist auch der Grund dafür, dass Quantensysteme – ganz im Gegensatz zur klassischen Physik – miteinander „verschränkt“ sind, wie Physiker sagen. Dadurch entsteht das berüchtigte Messproblem in der Quantenphysik, das der Physik-Nobelpreisträger Erwin Schrödinger mit seiner bedauernswerten Katze illustriert hat, die aufgrund der quantenmechanischen Verschränkung lebendig und tot zugleich sein müsste – ein gespenstischer Überlagerungszustand, der sich in der Alltagswelt freilich nirgends beobachten lässt. Wieso dann diese groteske Überlegung?
Zentral in der Quantentheorie ist die Schrödinger-Gleichung mit ihrer Wellen- oder Psi-Funktion. Diese 1926 von Erwin Schrödinger formulierte Gleichung ist die wohl am meisten zitierte Publikation in der gesamten Physik. Sie kann zwar nur in den allereinfachsten Fällen exakt gelöst werden, etwa für das Wasserstoff-Atom. Doch es besteht kein Zweifel daran, dass sie – und ihre relativistische Verallgemeinerung, die Dirac-Gleichung – im Prinzip für die gesamte Materie gilt, auch für eine Horde von Brüllaffen im Regenwald, wie es der Quantenphysiker Carl Friedrich von Weizsäcker einmal ausgedrückt hat. Und es gibt eine verallgemeinerte Version der Gleichung für das gesamte Universum, die Wheeler-DeWitt-Gleichung, die Hawking und Hartle benutzen (dazu später).
In der üblichen Formulierung der Quantentheorie – der sogenannten Kopenhagener Interpretation, wie sie hauptsächlich von Niels Bohr und Werner Heisenberg in Kopenhagen entwickelt wurde – kommen zwei Arten von Gesetzen vor, die einander streng genommen widersprechen:
Erstens die deterministische Dynamik der linearen, reversiblen Schrödinger-Gleichung. Sie gilt für ein Quantensystem, das nicht gemessen oder beobachtet wird. Es befindet sich in Superposition – in einem „verschmierten“ Überlagerungszustand aller möglichen Einzelzustände.
Und zweitens, wenn das System gemessen wird, der zufällige, nicht determinierte und diskontinuierliche sogenannte Kollaps der Wellenfunktion zu einem „scharfen“ Eigenzustand der Observablen (der Messgröße). Daher können wir immer nur bestimmte, eindeutige Eigenschaften beobachten – entweder tote oder lebende Katzen, aber keine Mischung von beiden. Hier kommt es gewissermaßen zum Übergang von der Reversibilität zur Irreversibilität, denn der Messprozess lässt sich nicht mehr rückgängig machen.
Das Messproblem in der Quantenphysik ergibt sich nun aus dem Umstand, dass diese beiden dynamischen Gesetze nicht miteinander kompatibel sind – und dass kein System gleichzeitig beiden gehorchen kann, wenn man Messgeräte (oder auch Beobachter mit Bewusstsein) als gewöhnliche physikalische Systeme versteht.
Obwohl sich die Quantentheorie für alle praktischen Zwecke bewährt hat, lässt die Kopenhagener Interpretation der Quantentheorie offen, was eigentlich eine Messung konstituiert und wie es folglich zum Kollaps der Wellenfunktion kommt. Auch ist deren Bedeutung bis heute nicht klar. Schrödingers Kollege Erich Hückel brachte die Verwirrung schon früh poetisch auf den Punkt: „Gar manches rechnet Erwin schon / Mit seiner Wellenfunktion. / Nur wissen möcht man gerne wohl / Was man sich dabei vorstell’n soll.“
Erwin Schrödinger hat die irritierende und unbefriedigende Situation 1935 mit einem bereits erwähnten Gedankenexperiment zu illustrieren versucht, das Furore machte: „Man kann auch ganz burleske Fälle konstruieren. Eine Katze wird in eine Stahlkammer gesperrt, zusammen mit folgender Höllenmaschine (die man gegen den direkten Zugriff der Katze sichern muss): In einem Geiger’schen Zählrohr befindet sich eine winzige Menge radioaktiver Substanz, so wenig, dass im Lauf einer Stunde vielleicht eines von den Atomen zerfällt, ebenso wahrscheinlich aber auch keines;
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