Heartless 03 - Lockruf des Herzens
des Hauses, wo das private Arbeitszimmer des Grafen untergebracht war. In Gedanken war sie immer noch bei dem großen, dunkelhaarigen Reiter auf dem herrlichen schwarzen Pferd, den sie auf der Hügelkuppe gesehen hatte. Es ging etwas Furchteinflößendes von ihm aus. Etwas Dunkles und Verbotenes, etwas Geheimnisvolles und Faszinierendes.
Auf eine raue, strenge Art war er außerordentlich attraktiv, wie er da so auf seinem Pferd saß. Zuerst hatte sie Angst gehabt, aber dann war ihr klar geworden, dass er es wohl kaum nötig hatte, sich einer unwilligen Frau aufzudrängen. Bei seinem guten Aussehen könnte er wahrscheinlich jede Frau haben, die er wollte.
Ein Geräusch aus dem Arbeitszimmer ließ sie aufmerken. Jillian klopfte an die mit goldenen Leisten verzierte, elfenbeinfarbene Tür, um dann den goldenen Knauf zu drehen und hineinzugehen, als sie Lord Fenwicks etwas barsche Stimme hörte.
»Ah, da bist du ja, meine Liebe. Ich meinte dich in der Halle gehört zu haben. Du bist wirklich eine richtige Frühaufsteherin.«
Sie trat zu ihm hinter den Schreibtisch aus Rosenholz, wo er mit einer Meerschaumpfeife in der mit Altersflecken übersäten Hand saß. Sie beugte sich zu ihm und hauchte ihm einen Kuss auf die runzelige Wange.
»Ich bin immer sehr früh auf, Mylord, wie Sie sehr wohl wissen. Der Morgen ist die schönste Zeit des Tages. Alles ist so hell und klar, und es ist still genug, dass man die Vögel hören kann.«
Er kicherte, legte die kalte Pfeife vorsichtig in ihrem Ständer ab und erhob sich von seinem Stuhl.
Oswald Telford, der Graf von Fenwick, war ein Mann hoch in den Sechzigern mit schütterem grauen Haar und einem runden Bäuchlein unter seiner weißen Weste aus Pique. Mit seinen Segelohren und der Knollennase war er nie ein gut aussehender Mann gewesen, aber er war ihr genauso herzlich zugetan wie sie ihm.
»Heute Abend ist die Soiree bei der Marquise von Landen«, sagte er. »Ich dachte, dass du vielleicht gern hingehen würdest.«
Sie schüttelte den Kopf etwas zu schnell, bewahrte jedoch genug Haltung, um zu lächeln. »Sie leiden doch immer noch unter Ihrer Gicht, und ich sollte wirklich lieber zu Hause bleiben. Ich dachte, wir könnten den Abend vielleicht mit einer Partie Schach verbringen.«
In seinen hellblauen Augen, die viel blasser waren als das strahlende Blau bei ihr, blitzte es kurz auf. Mit einem Ausdruck des Bedauerns schüttelte er den Kopf. »Ich täte nichts lieber, als zu Hause zu bleiben und dich beim Schach vernichtend zu schlagen, mein liebes Kind. Aber ich werde nicht jünger, und du musst versorgt sein. Es ist höchste Zeit, dass wir einen Ehemann für dich finden, und das lässt sich nur bewerkstelligen...«
»Sie sind überhaupt nicht alt! Und davon abgesehen bin ich ohnehin ein Ladenhüter.«
»Mit einundzwanzig? Das glaube ich kaum.«
»Diese Diskussion haben wir schon früher geführt. Ich dachte, Sie hätten meine Gefühle zu diesem Thema akzeptiert.« Sie wollte keinen Ehemann haben. Zumindest keinen Ehemann, den der Graf ihr kaufen müsste. Sie wollte einen Mann, den sie lieben konnte, jemanden, der ihre Liebe erwiderte. Sie wollte die Art von Glück, die ihr Vater bei ihrer Mutter gefunden hatte.
Jillian hatte Maryann Whitney nie kennen gelernt. Ihre Mutter war bei der Geburt ihres einzigen Kindes gestorben, aber ihr Vater hatte nie wieder geheiratet. So sehr hatte er seine Frau geliebt. Und Jillian lehnte es ab, sich mit weniger als solch einer tiefen Hingabe zufrieden zu geben.
»Jede Frau braucht einen Ehemann«, grummelte Lord Fenwick, aber er drängte sie nicht weiter, und Jillian war ihm dafür dankbar.
»Es gibt unendlich viele Soireen«, meinte sie, »wie der Stapel an Einladungen auf Ihrem Schreibtisch beweist.« Doch der Stapel wurde immer kleiner, während das Gerede immer lauter wurde.
Wie gewöhnlich ignorierte der Graf dies. Er war in seinen Gewohnheiten eingefahren, und zu mehr, als sie bei sich aufzunehmen, war er nicht bereit. »Ich weigere mich, diese alte Streitaxt, diese Cousine von mir, ins Haus zu nehmen, nur damit die Leute sich nicht die Mäuler zerreißen«, hatte er gesagt.
Doch früher oder später würden sie ohne eine richtige Anstandsdame völlig geächtet sein.
Jillian zwang sich zu einem Lächeln, nach dem ihr plötzlich überhaupt nicht mehr zumute war. »Vielleicht fühlen Sie sich bis Ende der Woche besser.«
Der Graf versuchte gar nicht erst, seine Erleichterung zu verbergen. »Ja, ich bin mir sicher, dass es
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