Heavy Cross
konnten wir uns wie Teenager irgendwo in der Mitte treffen. Mom lieà sich auf einen Küchenstuhl fallen und zog ihre Jacke aus, unter der sie auÃer einem BH nichts trug. Ich war immer noch verschlafen nach einer schlimmen Nacht, in der ich in der Dunkelheit aufgewacht war und gegen meine Ãngste angekämpft hatte. Jetzt musste ich ein anderes dunkles Gefühl abwehren: dass es falsch war, so viel darüber zu erfahren, was Mom die ganze Nacht dort drauÃen mit den Männern angestellt hatte.
Von da an wurde das Leben echt verwirrend, Moms Kommen und Gehen verschwimmt in meiner Erinnerung. Weil ich zu groÃe Angst hatte, ohne Erwachsene in dem dunklen Haus zu schlafen, übernachtete ich immer öfter bei Tante Jannie. Es gab immer weniger Konstanten in meinem Leben, auch weil ich nirgends mehr wohnte, aber überall übernachtete. Manchmal bei Mom, manchmal bei Tante Jannie, je nachdem, wer noch dort war, manchmal bei meinem Dad, Homer, wenn ich bis raus nach Georgetown kam, das so ländlich war, dass Judsonia daneben fast schon weltstädtisch wirkte. Falls ihr den Ãberblick darüber verloren habt, wann ich wo war, dann glaubt mir, ich hatte selbst auch schon lange keinen mehr. Ich war eine Heimatlose in meiner eigenen Familie, schlief oft jede Nacht woanders.
Weil ich in so vielen verschiedenen Häusern übernachtete, hatte ich nicht das Gefühl, überhaupt irgendwohin zu gehören. Wenn mich jemand fragte, wo ich wohnte, wusste ich nicht, was ich antworten sollte. Mal hier, mal da. Es gab nichts, was mich an irgendein Haus gebunden hätte. Nirgendwo hatte ich einen Kleiderschrank, aber das machte nichts, weil ich ohnehin nicht genug Klamotten besaÃ, die ich darin hätte verstauen können. Ich erinnere mich an ein Weihnachten in meiner Teenagerzeit, an dem ich dank Tante Jannie reich beschenkt wurde und eine Winterjacke und eine Jeans bekam. Diese beiden Sachen und mein heiÃgeliebtes und häufig getragenes Pearl-Jam-T-Shirt waren die einzigen Kleidungsstücke, die ich wahrhaftig mein Eigen nennen konnte, da mein Chanteuse-T-Shirt inzwischen viel zu durchgescheuert war, um noch getragen zu werden. Es lag zu Putzlappen zerrissen unter Tante Jannies Küchenspüle. Zu Beginn der Highschool hatte ich wirklich nichts â kein Zuhause, keine Klamotten und keine Ahnung, wie tief ich in der ScheiÃe steckte.
SECHS
6
MOM ÃBERRASCHTE MICH IMMER MAL WIEDER, indem sie sich plötzlich wie eine richtige Mutter verhielt. Eine Glucke, die mich um sich haben wollte, mich fragte, wo ich gewesen war, und auf alles ein Auge hatte. Auch wenn ich mich einerseits danach sehnte, bemuttert zu werden, wusste ich andererseits gar nichts damit anzufangen. Ich traute der Sache nicht. Ich wusste, Mom würde ihren Mutterinstinkt nur vorübergehend mobilisieren. Danach würden erneut Männer oder andere Katastrophen ihre gesamte Aufmerksamkeit beanspruchen, und ich hätte noch weniger von ihr als vorher. Wenn Mom nicht so richtig wusste, wie man als Mutter zu sein hatte, dann wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, wie man sich als Tochter benehmen sollte.
Mom hatte auf der Arbeit eine neue Freundin namens Jo Ann kennengelernt. Jo Ann bekam mit, wie sich Mom mit ihren ungezogenen Kindern abmühte, und versuchte zu helfen, und zwar auf die ihrer Meinung nach beste Art. Sie hatte Mom ein Blind Date mit einem Kerl namens Mike vermittelt. Zwei Wochen nachdem sie sich zum ersten Mal getroffen hatten, kam ich aus der Schule und sah, wie ein fremder Mann einen Haufen Kram in Moms Haus schleppte. Ich wollte gerade aus dem Schulbus aussteigen und blieb wie angewurzelt stehen, beobachtete irritiert die Vorgänge. Bin ich hier richtig? Ist dies das Haus, in dem ich wohne? Durch mein ständiges Umherziehen verlor ich leicht die Orientierung. Ich sah Akasha und meine Brüder, die ebenfalls den Kerl anstarrten, der Müllsäcke und Kisten über die Türschwelle schob.
»Steigst du jetzt aus, oder fährst du weiter?«, fragte der Busfahrer genervt. Ich stieg aus.
»Das ist Mike«, stellte ihn mir Mom vor, als ich mir einen Weg durch sein ganzes Zeug bahnte. Hinter mir lud Mike fröhlich weiter irgendwelchen Krempel auf unser Leben ab.
Später kochte uns Mike etwas zu essen. Spaghetti. Es hätte ganz heimelig sein können, wäre es nicht so unheimlich gewesen. Wenn man sich überlegt, welche Prozeduren Lehrer über sich ergehen
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