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Heavy Cross

Heavy Cross

Titel: Heavy Cross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ditto Beth
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mich vertrieben hatte, belauschte ihn meine Schwester Akasha dabei, wie er meiner Mom hinter geschlossener Schlafzimmertür Mist erzählte: »Sie ist zwar deine Tochter, aber sie muss trotzdem weg.« Akasha stritt sich mit Tom und zog aus. Sie ging mit hocherhobenem Haupt, weil Akasha nun mal so ist. Aber tatsächlich hatte Tom sie rausgeworfen, und Mom hatte es zugelassen. Akasha zog zu ihrem Dad Homer draußen in Georgetown und nahm sich später zusammen mit unseren Brüdern eine eigene Wohnung.
    Georgetown liegt an einer Flussbiegung. Nur eine staubige Straße führt in den Ort, und dieselbe staubige Straße führt auch wieder raus. Meine Großmütter lebten dort draußen. Die eine hatte bis in die Achtzigerjahre hinein keine Toilette im Haus, und die andere holt ihr Wasser heute noch aus der Pumpe. Sogar in den Neunzigern gab es dort nur eine einzige Telefonleitung, die sich alle teilen mussten. Wenn man den Hörer abnahm, befand man sich mitten in einer Unterhaltung der Nachbarn. Die Stadt, die sich seit 1956 nicht mehr verändert hatte, diente meiner Schwester nun als Exil. Wie meine Brüder war sie ein Genie in Mathe und in Naturwissenschaften, wofür sie ständig Auszeichnungen erhielt. Trigonometrie beherrschte sie bekifft und mit geschlossenen Augen. Als sie nach Georgetown ausweichen musste, fing sie an, sehr viel Pot zu rauchen und die Schule zu schwänzen. Sie schrieb immer noch Einser, aber etwas hatte sich verändert. Hier am Ende der Welt und ohne Aussicht, wieder fortzukommen, gab es einfach nichts mehr, was Akasha noch zufrieden gemacht hätte.
    Doch glücklicherweise ließ sie sich schon bald etwas einfallen. Sie schaffte es, meinen Vater zu überreden, ihr ein Auto zu kaufen, sodass sie nun unabhängig war. Für kurze Zeit zog ich zu meinem Vater und meiner Schwester, aber ich war erst fünfzehn, ohne Führerschein, ohne Job – und für beides zu jung –, also verließ ich Georgetown wieder und begab mich an einen Ort, der besser für mich war. So makaber das klingt: Zu meinem Glück wurde Tante Jannie krank, denn dadurch konnte ich Moms Haus meiden und wurde trotzdem nicht nach Georgetown geschickt.

ACHT
    8
    DIE ZEIT, IN DER ICH BEI MEINEM VATER und meiner Schwester wohnte, war kurz, aber unbeschwert. Wir schauten uns wieder und wieder dieselben Simpsons -Folgen an – auf Videokassette, denn Kabelfernsehen gab es in Georgetown nicht –, bis wir sie im Schlaf hätten mitsprechen können. Wir rauchten Zigaretten und schrieben uns gegenseitig Entschuldigungen, um nicht zur Schule zu gehen. Als ich Dad verließ, war ich traurig, aber das städtische Leben Judsonias lockte mich.
    Also zog ich zu meiner Tante. Aufgrund ihres nicht beachteten Diabetes wies ihr Fußknöchel durch einen Staphylokokken-Befall eine offene Wunde auf, wobei der heruntergekommene Zustand ihres Hauses geradezu ideal für das Gedeihen einer Infektion war. Es bestand daher Bedarf nach einer Rund-um-die-Uhr-Pflegekraft – eine Stelle, die ich dankbar annahm. Eigentlich suchte ich nur nach einem Weg zurück in die Zivilisation; auf das, was mich jedoch erwarten sollte, war ich nicht gefasst.
    Die drei As waren täglich Bestrafungen meiner Tante ausgesetzt. Mein kleiner Cousin, der das Unglück hatte, unter seinen Geschwistern der einzige Junge zu sein, musste vom Zeitpunkt seiner Rückkehr aus der Schule bis zur Schlafenszeit, und nur unterbrochen durch eine kurze Essenspause, mit dem Gesicht zur Wand in der Ecke stehen. Viele Dinge schadeten ihm angeblich und wurden ihm nach und nach weggenommen. Weil er als hyperaktiv galt, wurde ihm alles Zuckerhaltige verboten. In den Augen seiner Lehrer, die keine Ahnung hatten, welcher Grausamkeit er zu Hause ausgesetzt war, schien er ein Monster zu sein. Sie strichen ihm die Pause, sodass die Schulstunden für ihn die einzige »freie« Zeit waren. Stellt euch einmal vor, wie es sein mag, wenn der einzige Augenblick, den man für sich selbst hat, der ist, in dem man im Unterricht sitzt und die Möglichkeit hat, seinen Kopf nach links und rechts zu bewegen. Ich kann es nicht beweisen, aber er scheint sein Ritalin nicht regelmäßig bekommen zu haben. In den zwei Jahren, in denen ich im Haus meiner Tante lebte, sah ich ihn nur zweimal seine Medizin kriegen. In ihm muss sich unglaublich viel Energie und Wut aufgestaut haben – wie hätte er da in der Schule still

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