Heavy Metal (German Edition)
benötigte. Frau, Kind, genügend Geld, ein wunderschönes Haus, eine unglaublich versaute Geliebte, Flaute im heimischen Ehebett und der jährliche Familienurlaub auf Gran Canaria inklusive dem einsamen nächtlichen Onanieren im abgeschlossenen Hotel-Badezimmer. Kurz: Das blühende Klischee.
Die Uhr im Armaturenbrett zeigte 21:02 an und das Autoradio bot nicht viel Spannendes. Er bekam noch das Neuste über einen weit entfernten Krieg, eine Kindesentführung in Hamburg, einen Volksaufstand irgendwo in Afrika und Meldungen über das sommerliche Frühlingswetter mit. Dann folgten die aktuellen Pop-Charts. Serrig durchforstete mit der rechten Hand die Kanallandschaft. Auf Musik hatte er keine Lust, er brauchte Sprache. Sprechende Menschen, die ihn aus der aufkeimenden Trostlosigkeit seiner Hirnwindungen reißen und ihn unterhalten würden. Auf einem der zahllosen Sender begrüßte ein Moderator, den er schon einmal irgendwann gehört hatte, gerade seinen Gesprächsgast am Telefon. Dieser erzählte ohne Luft zu holen, dass er total pleite sei und seine Stütze komplett für Spielhallen-Besuche draufgehen würde.
„Hartz-IV-Talk, klasse! Genau das, was ich jetzt brauche“, freute sich Serrig.
Er bog beschwingt um die nächste Kurve. Plötzlich fühlte er sich besser. Freiheit und Abenteuer. Er betätigte die Taste für das Seitenfenster. Ein lauer Hauch Frühlingsluft streifte sein Haar. Lässig schnippte sich der Immobilienmakler eine Zigarette zwischen die Lippen, entzündete sie und sog gierig daran. Der Arbeitslose im Radio war gerade bei seinen Selbstmordplänen angelangt, als Serrig beschloss, den Umweg über die Autobahn ins heimische Zülpich zu nehmen. Sein schmuckes Eigenheim und seine schmollende Frau, die sicher bereits heulend vor Töpfen mit zerkochtem Essen saß, würde er noch früh genug sehen. Er brauchte noch ein paar Minuten Geschwindigkeit. Und überhaupt: Er brauchte eine Geschichte. Wieder ein längerer Kundentermin? Er hatte keine Lust, sich zum tausendsten Mal einen unschlüssigen Käufer aus der Nase zu ziehen. Und das Handy konnte auch nicht schon wieder kaputt oder leer sein. Warum konnte er nicht einfach auf Iris zugehen, sie in den Arm nehmen, auf die Wange küssen und so etwas sagen wie: „Entschuldige Maus, aber ich hatte so einen Drang – da musste ich noch eben bei Rita vorbei und es ihr ordentlich besorgen. Das verstehst du doch?“
Innerlich lachte er sich über diese Vorstellung kaputt, äußerlich umspielte nur ein leichtes Grinsen seinen rechten Mundwinkel, in dem lässig der Zigarettenfilter hing. Wenn er Rita wenigstens lieben würde! Aber auch dann würde er sich wahrscheinlich nie von seiner Iris-Maus trennen, alleine schon wegen der Kleinen, seinem Ein und Alles. In dieser Hinsicht war er ein Schlappschwanz.
Es tat ihm gut, endlich beschleunigen zu können. Nachdem Gernold Serrig bei Wißkirchen auf die Autobahn abgebogen war, hatte er seinen getunten Fünfer-BMW auf der fast leeren A1 schnell auf 180 Sachen gebracht. „Ein solches Schätzchen muss einfach ab und zu ausgefahren werden“, ermahnte er sich mindestens einmal am Tag selbst. Er dachte kurz darüber nach, den „großen Umweg“ über Brühl zu fahren. Einfach nur, weil sich nichts geiler anfühlte, als mit diesem bayrischen Baby unter dem Arsch über eine fast verwaiste, dreispurige Asphaltpiste zu heizen. Serrig schnippte die Kippe aus dem Fenster und gab noch mehr Gas. Auf die zehn Minuten würde es jetzt auch nicht mehr ankommen.
Ein Werbebanner für die Donatuskirmes in Euskirchen und ein Schatten waren die letzten Bilder, die sein Hirn bewusst aufnahm, bevor sein Körper in einem Nebel von Glassplittern umher geschleudert wurde. Knirschendes Metall, platzender Kunststoff, orange sprühende Funken und der Knall von verschiedenen Airbags prasselten Sekundenbruchteile später auf seine Sinne ein. Das Adrenalin, welches im selben Moment wasserfallartig in seinem Hirn ausgeschüttet wurde, ließ den Immobilienmakler die kurze Karussellfahrt auf der Autobahn fast genießen. Schmerzen spürte er keine. Dann war plötzlich alles still und schwarz. Eine tiefe Ohnmacht hatte Gernold Serrig gnädig in ihren Bann gezogen.
2. Kapitel
Bernd Kamphaus puhlte mit dem Zeigefinger an seinen Backenzähnen herum. Es gab einfach nichts Schlimmeres als hartnäckige Fleischreste! Außer die Schale von Äpfeln. Die allerdings blieb eher vorne hängen. Er war froh, sich vor seiner Begleitung nicht genieren zu müssen und
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