Hebamme von Sylt
nicht der Tod des alten Nermin wäre.«
Geesche griff nach Fredas Hand. »Du musst Marinus finden. Er ist der Einzige, der die Wahrheit kennt. Er muss aussagen, dass er mich befreien wollte. Und dass Hauke mich töten wollte. Und dass Nermin von Hauke geknebelt worden ist, nicht von mir. Und dass er noch lebte, als wir geflohen sind …«
Freda unterbrach Geesche, deren Stimme immer mehr an Kraft verloren hatte und die am Ende zitternd in sich zusammenfiel. »Ich werde nach ihm suchen. Bis ich ihn gefunden habe, musst du hier bleiben.«
»Ist das nicht gefährlich? Sie werden bald kommen und Leonard abholen.«
»Wer von ihnen sollte auf die Idee kommen, den Stall zu betreten? Du musst dich nur ruhig verhalten, damit auch das Federvieh ruhig ist.«
Geesche tastete nach Fredas Hand. »Danke, Freda.«
Aber mit diesem Dank fühlte Freda sich genauso unbehaglich wie in Geesches Umarmung. »Es wird alles gut, Geesche. Am besten wäre es natürlich …« Freda stockte, dann fuhr sie mutig fort: »… wenn du Heye Buuß erklären könntest, woher das viele Geld stammt, das Hanna in deiner Truhe gefunden hat.« Als Geesche nicht antwortete, als das Starre, das von ihr ausging, zur Last wurde, ergänzte sie: »Aber das geht mich nichts an.«
Sie blickten beide auf ihre Füße, jede von ihnen in Gedanken weit entfernt von diesem Stall, dann veränderte sich Fredas Blick. Sie starrte nicht mehr mit leerem Blick auf Geesches saubere Strümpfe, ihren sauberen Rock und die gebügelteSchürze, sondern betrachtete ihre Kleidung nun. »Schön, dass du Gelegenheit hattest, dir frische Kleidung aus dem Haus zu holen. Wie hast du das geschafft ohne Schlüssel?«
Geesche nickte. »Das Fenster der Wohnstube war nicht fest verschlossen. Dort konnte ich einsteigen.« Geesche verzog das Gesicht. »Durch Leonards Zimmer wollte ich auf keinen Fall.«
Freda sah sie überrascht an. »Das kann nicht sein. Ich habe alle Fenster verriegelt.«
Geesche lächelte sie versöhnlich an. »Mach dir keine Vorwürfe. Es ist ja nichts passiert.«
Freda atmete tief durch, sog ihren Stolz und ihr Ehrgefühl ein, ehe sie die Entrüstung ausstieß: »Ich bin ganz sicher!«
Geesche wollte nichts von ihren Rechtfertigungen hören. »Die Tür war fest verschlossen«, sagte sie, als wäre damit das nachlässig zugeschobene Fenster der Wohnstube entschuldigt. »Ich hatte gerade noch Zeit, mir frische Kleidung zu schnappen, da hörte ich, dass Leute auf das Haus zukamen. Daraufhin habe ich mich im Stall versteckt.«
Freda sah sie erstaunt an. »Du hast im Haus geschlafen.«
»Nein, im Stall!«
»Aber dein Alkoven stand offen, das Bett war benutzt. Und eine Kerze war heruntergebrannt.« Eilig ergänzte sie: »Ich habe das schnell in Ordnung gebracht. Wenn heute jemand das Haus inspizieren will, wird keiner auf die Idee kommen, dass du in deinem eigenen Alkoven übernachtet hast.« Ihre letzten Worte waren schleppend gekommen, verlangsamt von einer Erkenntnis, für die sie in Geesches Augen Bestätigung suchte und fand.
Geesche versuchte es mit einem ausdrucksvollen Schweigen, aber als Freda sich damit nicht zufriedengeben wollte, sagte sie: »Sei nicht böse mit deinen Kindern. Sobald die Comtesse abreist, ist alles wieder in Ordnung.«
Freda schüttelte den Kopf. »Sie will Ebbo zu einem Stallburschen machen. Dort, wo sie mit dem Fürsten leben wird.«
Geesche sah sie erschrocken an. »Und Ebbo will das auch?«
»Er hat mir versprochen, Hanna und mich nicht allein zu lassen.« Ihre Stimme war leise und mutlos geworden. Freda mochte anscheinend nicht daran glauben, dass Ebbo der Versuchung widerstehen konnte.
XXV.
Meine geliebte Katerina! Seit wann weißt Du es? Wie gerne würde ich Dir diese Frage stellen. Aber mir ist klar, es wäre sinnlos, ich würde keine Antwort bekommen. Lass mich Dir versichern, dass alles aus Liebe geschah, aus meiner Liebe zu Dir. So sehr ich weiß, dass es nicht richtig war, so wenig bereue ich, was ich getan habe. Es hat Dich glücklich gemacht, also kann ich nichts Falsches darin erkennen. Und alles wäre so richtig geblieben, wie es sechzehn Jahre lang war, wenn nicht ein lächerlicher Zufall alles zerstört hätte. Ich kann nicht glauben, dass ein Zufall über mein Leben, über unser Leben bestimmt, aber ich muss wohl einsehen, dass es derart leicht sein kann, über Glück oder Unglück zu entscheiden. Erst seit diesem Augenblick beginne ich an meine Schuld zu glauben …
Es klopfte, die Tür flog im gleichen
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