Hebamme von Sylt
»Warum hast du behauptet, du hättest zwei Taschenuhren? Du hast nur eine einzige mit nach Sylt genommen – du hast mir gesagt, du hättest sie zur Reparatur geben müssen.«
»Warum hast du gelogen?«, beharrte Arndt.
»Aus demselben Grunde, aus dem auch du gelogen hast.«
»Du wolltest nicht, dass der Inselvogt mich für Dr. Nissens Mörder hält?«
»Und ich möchte, dass er denkt, Dr. Nissen hätte die Uhr gestohlen.«
Das Schweigen wurde durchscheinend und flog davon. Arndt wunderte sich, dass die schwere Last gerade in dem Moment leichter wurde, da er glaubte, sie sei nicht mehr zu ertragen.
»Dr. Nissen hat gestern einen Besuch bei mir gemacht. Du … hast mitbekommen, mit welchem Anliegen er kam?«
Katerina erhob sich. »Ich möchte nicht darüber reden.«
Arndt sprang auf, lief ihr nach und griff nach ihren Schultern, ehe sie die Tür erreichte. »Katerina! Was weißt du?«
Sie sah ihn mit der Kühle und der phlegmatischen Eleganz an, die er so sehr an ihr liebte. »Ich möchte nicht darüber reden«, wiederholte sie. »Ich verlange von dir, dass du es auch nicht tust. Hörst du? Ich verlange es!«
Die Tür fiel hinter seiner Frau ins Schloss. Und er wusste, dass es keinen Sinn hatte, ihr zu folgen.
Hanna begann schneller zu humpeln, als sie den Inselvogt sah. Sie wollte ihm unbedingt zeigen, wie wichtig sie ihre Aussage und damit seine Aufgabe nahm. Als er auf fünfzig Meter heranwar, winkte sie ihm sogar zu, damit er früh genug merkte, wie wichtig es ihr war, ihn zu treffen.
Heye Buuß trat mit dem mürrischen Gesichtsausdruck auf sie zu, den sie kannte. Ihr galt selten ein Lächeln. Nur die Comtesse hatte sie häufig unbefangen angelächelt, andere Sylter taten es nie.
»Willst du was von mir?«
Hanna nickte eifrig. »Ihre Frau hat mir gesagt, dass Sie bei den von Zederlitz sind. In amtlicher Mission.«
Der Inselvogt nickte. »Und du? Was machst du hier? Bist du immer noch die Gesellschafterin der Comtesse?«
Diese Frage stellte er, als könnte er sich nicht vorstellen, dass Elisa von Zederlitz es so lange mit Hanna Boyken aushielt.
Aber Hanna war längst gegen Anzüglichkeiten dieser Art immun, sie verlor nichts von ihrer Dienstwilligkeit, mit der sie den Inselvogt für sich einnehmen wollte. »Ich habe Dr. Nissens Mörder gesehen. Gestern Abend!«
Der Inselvogt runzelte die Stirn und betrachtete Hanna wie ein Kind, das Realität und Fantasie nicht auseinanderhalten konnte. »Willst du mir die Zeit mit Fisimatenten stehlen?«
»Es stimmt! Ich habe ihn gesehen.«
Heye Buuß betrachtete sie lange, und Hanna hielt seinem Blick stand. Er wusste, dass sie nicht dumm war, und sie war sicher, dass er sich die Aussicht auf Hilfe nicht entgehen lassen würde. »Das würde heißen, du warst so spät noch unterwegs?« Er sah sie streng an. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst bei Dunkelheit nicht um fremde Häuser schleichen? Ich weiß, dass du es tust.«
Aber Hanna sah ihm freundlich ins Gesicht. »Seit Geesche nicht da ist, muss ich mich um ihr Haus kümmern. Meine Mutter schafft das nicht allein. Und abends gehe ich immer zu Dr. Nissen, um ihm seinen Tee zu kochen. Ohne den kann er nicht gut schlafen.«
»So spät?«
Hanna nickte bedauernd. »Die Comtesse brauchte mich gestern länger als sonst. Aber ich hatte Dr. Nissen versprochen, ihm den Tee zu kochen.« Nun übertrieb sie es ein wenig mit ihrer Gewissenhaftigkeit, das merkte sie selbst: »Was man verspricht, muss man halten.«
Der Blick des Inselvogts wurde spöttisch. »Deswegen bist du zu Dr. Nissen gegangen, obwohl er schon schlief.«
»Das wusste ich nicht. Manchmal geht er sehr spät schlafen. Als ich das dunkle Haus sah, dachte ich sogar, er wäre noch gar nicht zurückgekommen.«
»Und dann? Das Haus war verschlossen. Besitzt deine Mutter einen Schlüssel?«
Hanna nickte. »Allerdings hatte ich ihn vergessen. Ich bin ums Haus herumgegangen, um nach einem Einstieg zu suchen … da hörte ich merkwürdige Geräusche.«
Hanna merkte, dass sie den Inselvogt nun für sich eingenommen hatte. Das Misstrauen war aus seinem Blick verschwunden, es hatte einem Interesse Platz gemacht, das sie genoss.
»Ich bekam Angst, deswegen habe ich mich ruhig verhalten. Und als ich ums Haus herumgeschlichen bin, war ich so leise, dass er mich nicht gehört hat.«
Schon erschien wieder der Argwohn im Gesicht des Inselvogts. Jeder kannte das Tohk-tik von Hannas Schritten. Anscheinend wollte er sich nicht einreden lassen, dass
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