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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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Frau Gräfin. Es sieht so aus, als hätte er nicht nur die Taschenuhr des Herrn Grafen, sondern sogar die Lohngelder für die Inselbahnarbeiter gestohlen.« Eine Weile genoss er die Stille, die eintrat, weil er es liebte, andere Menschen zu verblüffen, aber als weder der Graf noch die Gräfin Anstalten machten, etwas zu erwidern, wurde er nervös. »Es gibt einige Indizien, die gegen Dr. Nissen sprechen.«
    Gräfin Katerina war es, die endlich das Wort ergriff und als Erste die unangenehme Frage stellte, von der Heye Buuß befürchten musste, dass er sie im Laufe des Tages öfter zu hörenbekommen würde. »Warum haben Sie dann die Hebamme verhaftet?«
    Der Inselvogt ging sofort in die Verteidigung. »Weil sie viel Geld in ihrer Truhe aufbewahrte und nicht sagen wollte, woher sie es hatte.«
    »Dann werden Sie Geesche Jensen also aus dem Gefängnis entlassen?«
    »Wenn das so einfach wäre! Sie hat sich durch Flucht entzogen.«
    »Das tut mir leid für Sie!« Katerina gab sich Mühe, bestürzt auszusehen. Dass es ihr nicht gelang, bemerkte nur Arndt, der seine Frau gut kannte und als Einziger wusste, welche Worte zu ihren Gedanken passten.
    »Aber wenn wir sie finden, wird sie gleich wieder eingesperrt. Denn selbst, wenn sie keine Diebin ist, eine Mörderin ist sie auf jeden Fall. Sie hat bei ihrem Ausbruch den Wärter umgebracht.«
    Gräfin Katerina griff sich ans Herz. »Das ist ja schrecklich. Aber Sie haben natürlich recht! Eine Mörderin darf nicht frei herumlaufen.«
    Heye Buuß betrachtete die Teetasse, die Rosemarie vor ihn hinsetzte, und schien zu überlegen, ob das zarte Gebilde in seinen Pranken Schaden nehmen könnte. Vorsichtig griff er danach, wagte dann aber nicht, sie zum Munde zu führen, und beugte sich tief hinunter, um ein paar Schlucke herauszuschlürfen.
    Gräfin Katerina zuckte zusammen und suchte nach Worten, die das obszöne Geräusch überdecken konnten. »Der arme Dr. Nissen wurde also erstochen?«
    »Das muss ein scharfes Messer gewesen sein. Der Täter hat mit voller Wucht …« Heye Buuß stockte, als er Graf Arndts Blick sah, und beendete den Satz mit einem Gemurmel, das niemand verstand. Dann betrachtete er den weißen Verband, den Graf Arndt trug. »Sie haben sich verletzt, Herr Graf?«
    Ehe Arndt etwas erwidern konnte, sagte Katerina: »Ein Weinglas! Als wir gestern Abend unseren Aperitif nahmen, stellte sich heraus, dass das Glas, aus dem mein Mann trank, einen Sprung hatte. Es zersplitterte in seiner Hand. Eine böse Schnittverletzung!«
    »Das tut mir leid«, entgegnete Heye Buuß artig. Und sein Blick blieb auf dem Verband haften, als er sagte: »Merkwürdig, die Sache mit der Uhr. Wann könnte er sie Ihnen gestohlen haben? War er jemals bei Ihnen zu Gast?«
    Wieder war es Katerina, die antwortete: »Nein, wir haben uns immer nur am Strand unterhalten.«
    »Und trotzdem …?«
    Graf Arndt stand abrupt auf und unterbrach damit den Inselvogt. »Diebe finden immer einen Weg. Danke, Herr Buuß, dass Sie mir meine Uhr zurückgebracht haben.«
    »So, wie ich auch das Collier zurückgebracht habe!« Heye Buuß war nicht besonders sensibel, aber dass er nun das Haus verlassen musste, verstand sogar er. »Eigentlich habe ich auch gar keine Zeit. Ich muss Dr. Nissens Mörder finden. Und die flüchtige Geesche Jensen auch.« Er wartete einen Augenblick darauf, mit Lob und weiterem Dank bedacht zu werden, aber als beides ausblieb, verabschiedete er sich und verließ das Esszimmer. Der Graf rief ihm erst »Auf Wiedersehen!« nach, als der Inselvogt bereits die Tür hinter sich geschlossen hatte.
    Arndt nahm wieder Platz, versuchte so gerade zu sitzen, wie es sich bei Tisch gehörte, aber es war ihm unmöglich. Die Last des Tages wog schon wieder ein Stück schwerer. Katerina schwieg, wie nur sie schweigen konnte, strafend, vorwurfsvoll und gleichzeitig apathisch. Auch Graf Arndt sagte kein Wort. Aber während Katerina ihr Schweigen nach außen richtete, die Menschen anschwieg, die sich in ihrer Gesellschaft befanden, und damit viel sagen konnte, war Arndts Schweigen entstanden, weil er sich von der Außenwelt abgekehrt und seine ganze Aufmerksamkeit nach innen gerichtet hatte. Nun wurden sogarseine Gedanken schwer, schwer wie Blei. Alles wurde immer schwerer. Und je mehr er sich um Leichtigkeit bemühte, desto schwerer wurde das Leben.
    Dann sagte er endlich: »Warum hast du behauptet, ich hätte mir die Hand am Weinglas verletzt?«
    Katerina ließ ihn lange warten, ehe sie antwortete:

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