Heidi und andere klassische Kindergeschichten
entschlossen. Ebenso entschlossen kam jetzt die alte Trine auf das Miezchen zugeschritten, hob es in die Höhe, setzte es fest auf einen Stuhl und zog mit einem Ruck den halb angezwängten Stiefel wieder weg, fand aber doch für gut, das zappelnde Kind zu beschwichtigen, indem sie zustimmend sagte: »Schon recht! Schon recht! Aber ich will’s schon für dich besorgen, du brauchst nicht zwei Paar Strümpfe und zwei Paar Schuhe dafür durchzumachen. Dein Bett kannst du schon geben, du kannst dann nur in die Rumpelkammer hinaufziehen zum Schlafen, da ist Platz genug.« Aber das Miezchen hatte ganz andere Gedanken. Es hatte aufgefunden, daß es sich plötzlich von einem großen und täglich wiederkehrenden Ungemach befreien könne, und hatte fest im Sinne, es zu tun. Jeden Abend nämlich, gerade wenn Miezchen im besten Zuge der Unterhaltung war, erscholl auf einmal der Befehl, aufzupacken und ins Bett zu gehen. Hierauf erfolgten jedesmal große innere, häufig auch äußere Kämpfe, die waren peinlich und dazu noch nutzlos. Wenn es nun sein Bett an das Wiseli verschenkt hatte, so war mit einem Male allem abgeholfen, denn da war keins mehr vorhanden, und Miezchen konnte für immer aufbleiben. Diese Aussicht beglückte das Miezchen so sehr, daß alle seine Gedanken darauf gerichtet waren und es erst gar nicht bemerkte, wie die schlaue Trine nur darauf bedacht war, ohne Kampf der nassen Stiefel habhaft zu werden, ihr aber gar nicht einfiel, das Wiseli zu holen. Als sie nun befriedigt mit ihren Stiefeln davonging und Miezchen die Täuschung entdeckte, fing es einen so mörderlichen Lärm an, daß Otto sich beide Ohren zuhalten und die Mutter ernstlich einschreiten mußte. Sie versprach dann dem Miezchen, die Sache mit dem Papa besprechen zu wollen, sobald er erst wieder zu Hause sein würde, denn er war an dem Morgen dieses Tages mit Onkel Max abgereist, um einen lange verabredeten Besuch bei einem alten Freund zu machen. So wurde denn endlich die Ruhe und der Friede im Hause wiederhergestellt. Erst nach vier Tagen kamen die Herren von ihrem Ausfluge zurück, und die Mutter hielt Wort: das erste, was sie mit dem Vater besprach noch am Abend seiner Ankunft, war Wiselis Verwaistsein und sein neues Unterkommen, und es wurde gleich beschlossen, der Vater sollte am folgenden Tag hingehen, um sich mit dem Herrn Pfarrer zu beraten, was etwa für Wiseli getan werden könnte. Dies wurde denn ausgeführt, und der Oberst brachte die Nachricht, daß am vergangenen Sonntag, zwei Tage vorher, der Gemeindevorstand die Sache schon geordnet hatte, wie sie nun bleiben würde. Wiseli sollte ein Unterkommen haben, und da seine Mutter nichts hinterlassen hatte, mußte die Gemeinde für das Kind sorgen, bis es selbst sein Brot verdienen konnte. Nun hatte der Vetter-Götti sich gleich angeboten, das Kind um ein weniges bei sich zu behalten, da er einen Akt der Wohltätigkeit an ihm auszuüben gedachte. Er war als ein rechtschaffener Mensch bekannt, und da seine Forderung so billig war, wurde ihm von dem Vorstand das Kind sehr bereitwillig zuerkannt, und so war es denn fest und unabänderlich, daß Wiselis neue Heimat das Haus des Vetter-Götti geworden war.
»Es ist eigentlich gut so«, sagte der Oberst zu seiner Frau; »das Kind ist wohlversorgt da; was hätte man auch mit ihm machen wollen, es ist ja noch viel zu klein, um irgendwo angestellt zu werden, und alle elternlosen Kinder kannst du doch nicht ins Haus nehmen, du müßtest denn ein Waisenhaus gründen.« Seine Frau war ein wenig bestürzt über die Nachricht, daß schon alles festgesetzt sei; sie hatte gehofft, es würde sich noch ein anderes Unterkommen für das Kind finden, denn das zarte Wiseli in dem Hause zu wissen, wo es viel Roheit hören und fühlen mußte, tat ihr sehr leid; doch hätte auch sie keinen bestimmten Rat gewußt, und nun war auch weiter nichts mehr zu tun, als die Sache anzunehmen und sich etwa nach dem Kinde umzusehen. Als am Morgen darauf Otto und Miezchen hörten, wie es mit Wiseli stehe, da brach freilich noch einmal ein Sturm los; Otto erklärte Wiselis Versorgung für die Versorgung eines Daniel in der Löwengrube und probierte dabei seine Faust auf dem Tisch, offenbar mit dem heimlichen Wunsch, sie so auf Chäppis Rücken wirken zu lassen. Das Miezchen lärmte und heulte ein wenig, teils aus Mitleid für Wiseli, teils aus Teilnahme für sich selbst und seine vereitelten Hoffnungen auf ein glückliches Entrinnen aus der täglichen Betthaft. Aber auch diese
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