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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Spyri
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Aufregung ging vorüber wie jede andere, und die Tage gingen wieder ihren gewohnten Gang.
    Unterdessen hatte Wiseli nach und nach sich ein wenig eingelebt in dem Hause des Vetter-Götti. Sein Bett war angekommen, es schlief nicht mehr auf der Ofenbank, sondern, wie der Vetter gesagt hatte, in einem Verschlag in dem schmalen Gang zwischen der Kammer des Vetters und der Base und derjenigen der Buben. In dem Verschlag hatte gerade sein Bett Platz und eine kleine Kiste, worin seine Kleider lagen und auf welche es steigen mußte, um in sein Bett zu kommen, denn da war sonst gar kein Raum mehr. Sich zu waschen am Morgen, mußte es an den Brunnen gehen, und wenn es etwa gar kalt war, so sagte die Base, das könne es bleiben lassen und sich dann an einem anderen Tag waschen, wenn es wärmer sei. Aber daran war Wiseli nicht gewöhnt; seine Mutter hatte es gelehrt, sich recht sauber zu halten, und Wiseli wollte lieber frieren, als so aussehen, wie es die Mutter ungern sehen würde. Freilich daheim war es anders gewesen, wenn es am Morgen bei der Mutter in der Stube sich hatte fertig machen können, und sie dabei immer so freundliche Worte zu ihm geredet hatte und dann den Kaffee auf den Tisch stellte und sie beide nebeneinander saßen, und es fröhlich seine Brocken aß, ehe es zur Schule mußte. Das war jetzt ganz anders, und alles war so anders, sein ganzes Leben vom Morgen bis am Abend so anders, daß oft, oft beim Erinnern an die Mutter und an die Tage, die es bei ihr gehabt, dem Wiseli das Wasser in die Augen schoß, und es ihm so das Herz zusammenschnürte, daß es meinte, es könne nicht mehr weiter. Aber es wehrte sich tapfer, denn der Vetter-Götti hatte es ungern, wenn es weinte oder traurig war, und die Base schmälte dann mehr als je, sie konnte es gar nicht leiden. Am liebsten war Wiseli der Augenblick, da es von allen weg allein in seinen Verschlag steigen und so recht an die Mutter denken und sein Lied sagen konnte. Da kam ein großer Trost in sein Herz. Es dachte dann an seinen schönen Traum und war ganz sicher, daß der liebe Gott ihm einen Weg suche, so wie ihn die Mutter gezeigt hatte. Wenn ihm dann auch etwa in den Sinn kam, wie viele Menschen es auf der Welt gibt, für die der liebe Gott zu sorgen und Wege bereit zu machen hat, und ihm dann etwa der Zweifel aufstieg, ob er es vielleicht vergesse über all’ den vielen, dann kam ihm gleich der gute Trost ins Herz, daß ja die Mutter droben im Himmel sei und gewiß den lieben Gott daran erinnere, daß er auch seinen Weg nicht vergesse. Das machte das Wiseli dann ganz zuversichtlich und froh, und es wurde nie mehr so unglücklich, wie am ersten Abend auf der Ofenbank, sondern jeden Abend schlief es mit der ganz frohen Zuversicht im Herzen ein:
    »Er wird auch Wege finden,Da dein Fuß gehen kann.«
    So verging der Winter und der sonnige Frühling kam. Die Bäume wurden grün und alle Wiesen standen voller Schlüsselblumen und weißer Anemonen, und im Wald rief lustig der Kuckuck, und schöne, warme Lüfte zogen durch das Land und machten alle Herzen fröhlich, so daß jeder wieder gern leben mochte.
    Auch Wiselis Herz erfreuten die Blumen und der Sonnenschein, wenn es am Morgen in die Schule ging und nachher wieder nach dem Buchenrain zurückkehrte. Sonst blieb ihm keine Zeit, sich daran zu erfreuen, denn es mußte nun streng arbeiten: jeder Augenblick, der neben der Schule übrig blieb, mußte zu irgendeiner Arbeit benutzt werden, und manchen halben Tag der Woche mußte es daheim bleiben und durfte gar nicht zur Schule gehen, weil da viel Nötigeres zu tun war, wie der Vetter-Götti und hauptsächlich die Base sagten. Die Frühlingsarbeiten hatten im Felde begonnen und im Garten war allerhand zu tun, da mußte es mithelfen, und wenn die Base draußen war, mußte es kochen und nachher das Geschirr abwaschen, den Trog für die Schweinchen zurecht machen und in die Scheune hinübertragen. Neben alledem mußten die Hemden und Hosen der Buben geflickt werden, und noch so vieles war zu tun, daß Wiseli nie wußte, wenn es fertig war. Den ganzen Tag durch hieß es an allen Ecken, wo es etwas zu tun gab: »Das kann das Kind machen, es hat ja sonst nichts zu tun«, so daß es dem Wiseli manchmal ganz schwindelig wurde, weil es gar nicht wußte, wo anfangen und wie fertig werden. Es wußte auch wohl, daß, wenn es damit anfing, daß es mit dem Kartoffelsamen nach dem Acker rannte, wo der Vetter schaufelte und danach rief, die Base sicher schmälen würde, daß es

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