Heidi und andere klassische Kindergeschichten
Gestampfe auf dem Hausgang, und die Base sagte: »Mach schnell die Tür auf, sie kommen«; denn der Lärm kam vom Vetter und den Buben her, die draußen den Schnee von den Schuhen stampften. Wiseli machte die Tür nach der Stube auf und die Base hob eine große Pfanne vom Feuer und fuhr eilends damit in die Stube hinein, wo sie den ganzen Haufen geschwelter Kartoffeln auf den Schiefertafeltisch ausschüttete. Dann lief sie zurück und brachte ein großes Becken voll saurer Milch herein und sagte: »Leg auf den Tisch, was in der Schublade liegt, so können sie zusitzen.« Wiseli zog schnell die Schublade aus, da lagen fünf Löffel und fünf Messer, die legte es hin, und nun war der Abendtisch fertig. Der Vetter und die Buben waren hereingekommen und saßen gleich fest auf den Bänken am Tisch den Fenstern entlang. Unten am Tisch stand ein Stuhl; darauf hin wies nun der Vetter-Götti und sagte: »Es kann, denk’ ich, dort sitzen, oder nicht?«
»Freilich«, sagte die Base, die auch einen Stuhl für sich bereit hatte auf der Seite gegen die Küche zu, sie saß aber nur eine Sekunde darauf still, dann lief sie wieder in die Küche und kam zurück und saß geschwind wieder zu einem Löffel voll Milch nieder; dann lief sie von neuem. Es wußte niemand, warum das so sein mußte, denn das Kochen war ja ganz zu Ende; aber es war immer so, und wenn der Vetter einmal sagte: »Sitz doch und iß einmal«, so kam sie erst recht in die Eile und sagte, sie habe nicht Zeit, so lang zu sitzen, und der Sache draußen werde wohl jemand nachsehen müssen. Als sie jetzt zum zweiten Male hereingeschossen kam und eilig eine Kartoffel schälte, fiel ihr Wiselis Untätigkeit auf, das neben ihr saß, die Hände in den Schoß gelegt. »Warum issest du nicht?« fuhr sie es an. »Es hat keinen Löffel«, sagte Rudi, der auf der anderen Seite neben ihm saß und schon lange den Grund herausgefunden hatte, warum jemand an einem Tisch sitzen kann, ohne zu essen, solange noch etwas da ist. »Ja so«, sagte die Base; »wem wäre es aber auch in den Sinn gekommen, daß man auf einmal sechs Löffel haben muß, man brauchte ja immer nur fünf, und ein Messer wird auch sein müssen. Warum kannst du aber auch nichts sagen? du wirst wohl wissen, daß man zum Essen einen Löffel braucht.« Diese Worte waren an das Wiseli gerichtet.
Es schaute die Base scheu an und sagte leise: »Es ist gleich, ich brauche keinen, ich habe keinen Hunger.« – »Warum nicht?« fragte die Base; »bist du anders gewöhnt? Ich habe nicht im Sinn, zu ändern.« – »Es ist, denk’ ich, besser, man lasse das Kleine zuerst ein wenig gehen, man muß es nicht zu fürchten machen«, sagte der Vetter-Götti beschwichtigend; »es kommt schon besser.« Nun ließ man das Wiseli in Ruh’, die anderen setzten ihre Tätigkeit noch eine gute Zeit lang fort. Das Kind saß unbeweglich dabei, bis endlich der Vater aufstand, noch einmal die Pelzkappe vom Nagel nahm und nach der Stallaterne suchte, denn der Fleck sei krank geworden, da mußte er noch einmal hinaus. Der Tisch war schnell wieder in Ordnung. Die Kartoffelschalen wurden mit den Händen in das leere Milchbecken heruntergewischt, dann die Schiefertafel abgewaschen, und wie die Base damit zu Ende war, sagte sie, zu Wiseli gewandt: »Du hast gesehen, wie ich’s mache, das kannst du von nun an tun.« Jetzt setzte sich der Chäppi wieder fest hinter den Tisch; er hatte seinen Griffel und sein Rechenbuch geholt und machte Anstalten, seine Rechnungsaufgaben vor sich auf den Tisch zu schreiben. Erst starrte er aber eine Weile auf das Wiseli hin, das seinen braunen Strumpf wieder vorgenommen hatte, aber sehr hilflos dasaß, denn es konnte keine Masche sehen in seinem Winkel, und zum Tisch zu sitzen, auf dem die trübe Öllampe stand, wagte es nicht.
»Du wirst auch etwas tun können«, rief auf einmal Chäppi erbost zu ihm hinüber, »du bist nicht das Geschickteste in der Schule.« Wiseli wußte nicht, was sagen, es war ja gar nicht in der Schule gewesen heute, und es wußte nicht, was zu tun war, es war ja überhaupt ganz aus aller Ordnung und Fassung. »Wenn ich rechnen muß, so mußt du auch, oder dann tu’ ich’s auch nicht«, rief der Chäppi wieder. Wiseli hielt sich mäuschenstill. »So, dann ist’s recht«, fuhr Chäppi lärmend fort, »so tu’ ich keinen Strich mehr an der Arbeit.« Damit warf er seinen Griffel weg. »So, so, dann tu’ ich auch nichts«, rief der Hans aus und steckte ganz erleichtert sein Einmaleins
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