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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Spyri
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entschieden, das eifrig zugehört hatte.
    »Ja, wer denn?« rief Otto, teils neugierig, teils ungläubig.
    »Der Mauserhans«, erklärte Miezchen mit voller Überzeugung, »weil du ihm einen Apfel gegeben hast vor einem Jahr.«
    »Ja, oder der Wilhelm Tell, weil ich ihm den seinigen nicht genommen habe vor ein paar Jahren. Das wäre wohl ebenso wahrscheinlich, du Wunder von einem Miez.« Damit rannte Otto davon, denn jetzt war’s die höchste Zeit, wollte er den Ritt ins Heu nicht verlieren.
    Unterdessen sprang das Wiseli mit vergnügtem Herzen den Berg hinunter, vorbei an des Schreiners Andres Gärtchen, und tat noch ein paar Sprünge, dann machte es aber plötzlich Kehrum und tat die letzten Sprünge wieder zurück, denn es hatte im Vorbeilaufen so schöne, rote Nelken offen gesehen in dem Garten, die mußte es noch einmal ansehen, wenn es schon ein wenig spät war; es dachte: »Den Buben komme ich doch nach, die machen erst auf allen Wegen noch Kugelschieben.« Die Nelken leuchteten in der Abendsonne so schön und dufteten so herrlich über die niedere Hecke herüber dem Wiseli zu, daß es fast nicht mehr von der Stelle fort konnte, so wohl gefiel es ihm da. Da trat auf einmal der Schreiner Andres aus seiner Tür heraus in das Gärtchen und kam gerade auf das Wiseli zu. Er bot ihm die Hand über die Hecke und sagte ganz freundlich: »Willst du eine Nelke, Wiseli?«
    »Ja, gern«, antwortete es, »und dann sollte ich Euch auch noch etwas ausrichten von der Mutter.«
    »Von der Mutter?« fragte der Schreiner Andres im höchsten Erstaunen und ließ die Nelken aus der Hand fallen, die er eben abgebrochen hatte. Wiseli sprang um die Hecke herum und las sie auf; dann sah es zu dem Manne auf, der ganz still dastand, und sagte: »Ja, noch zuallerletzt, als die Mutter sonst nichts mehr mochte, hat sie von dem schönen Saft getrunken, den Ihr in die Küche gestellt hattet, und er hat ihr so wohlgetan, und dann hatte sie mir aufgetragen, ich soll Euch sagen, sie danke Euch vielmal dafür und auch noch für alles Gute, und sie sagte noch: ›Er hat es gut mit mir gemeint.‹« Jetzt sah Wiseli, wie dem Schreiner Andres große Tränen über die Wangen hinunterliefen; er wollte etwas sagen, aber es kam nichts heraus. Dann drückte er dem Wiseli stark die Hand, kehrte sich um und ging ins Haus hinein.
    Das Wiseli stand ganz verwundert da. Kein Mensch hatte um seine Mutter geweint, und es selbst hatte nur weinen dürfen, wenn es niemand sah, denn der Vetter wollte ja kein Geschrei, hatte er gesagt, und vor der Base durfte es noch weniger weinen. Und nun war auf einmal jemand da, dem kamen die Tränen, weil es etwas von der Mutter gesagt hatte. Dem Wiseli wurde es so zumut’, als wäre der Schreiner Andres sein liebster Freund auf der Welt, und es faßte eine große Liebe zu ihm. Jetzt rannte es mit seinen Nelken davon und war wie der Blitz am Buchenrain angelangt, und das war gut, denn eben sah es, wie die beiden Buben dem Haus zuliefen, und es durfte um alles nicht nach ihnen daheim ankommen.
    An diesem Abend betete Wiseli mit so frohem Herzen, daß es gar nicht begriff, wie es gestern so verzagt hatte sein können und gar keine Zuversicht und Freude gehabt hatte, sein Lied zu sagen. Der liebe Gott hatte es gewiß nicht vergessen, das wollte es nicht mehr denken, heute hatte er ihm ja so viel Freude geschickt, und beim Einschlafen sah Wiseli noch das gute Gesicht des Schreiners Andres vor sich mit den Tränen drin.
    Am folgenden Tage, es war nun Mittwoch, erlebte Otto vollständig dieselbe überraschende Tatsache, wie am Tage vorher, denn er hatte sich nicht enthalten können, mit den anderen aus der Schulstube hinauszurennen im ersten Augenblick der Befreiung und noch diesen und jenen Sprung zu tun. Als er dann mit gedrücktem Gemüte an seine Arbeit gehen wollte und die Tür aufmachte – siehe, da war schon alles getan und die Stube in bester Ordnung. Nun fing aber die Sache an, seine Neugierde zu stacheln; auch hatte er einen so lebendigen Dank im Herzen für den unbekannten Wohltäter, daß es ihn drängte, den auszusprechen. Am Donnerstag wollte er aufpassen, wie die Sache zugehe. Als nun die Schulstunden zu Ende waren und alles forteilte, stand Otto einen Augenblick nachdenklich an seinem Platz, er wußte nicht recht, wo er am besten dem Wohltäter aufpassen konnte. Aber mit einem Male faßte ihn eine Schar rüstiger Kerle, seine Klassengenossen, an allen Ecken an, und die Stimmen riefen durcheinander: »Komm heraus!

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