Heidi und andere klassische Kindergeschichten
hätte, und was es nur tat, gefiel dem guten Mann, und er mußte es loben dafür. Er wurde in wenig Tagen so frisch und munter bei der Pflege, daß er durchaus aufstehen wollte, und der Doktor war ganz erstaunt, wie gut es mit ihm ging und wie fröhlich und wohlgemut auf einmal der Schreiner Andres aussah. Er saß nun den ganzen Tag am Fenster, wo die Sonne hinkam, und schaute dem Wiseli nach auf Schritt und Tritt, so als ob er es gar nie genug sehen könnte, wie es einen Kasten aufmachte und dann wieder zu, und wie ihm unter den Händen alles so sauber und ordentlich wurde, wie er es vorher nie gesehen hatte, oder doch meinte, es nie gesehen zu haben. Dem Wiseli aber war es so wohl in dem stillen Häuschen, da es nur liebevolle Worte hörte, und unter den freundlichen Augen, die es immerfort begleiteten, daß es gar nicht daran denken durfte, wie bald die vierzehn Tage zu Ende sein würden und es wieder nach dem Buchenrain zurückkehren mußte.
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Achtes Kapitel.
Es geschieht etwas Unerwartetes.
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In dem Hause auf der Halde wurde viel vom Schreiner Andres und dem Wiseli gesprochen. Jeden Morgen ging die Frau Oberst nachzusehen, wie es bei dem Kranken stehe, und jedesmal brachte sie wieder einen erfreulicheren Bericht nach Hause. Das brachte alle zusammen in die freudigste Stimmung, und Otto und Miezchen machten einen Plan, wie ein großes Genesungsfest müßte gefeiert werden in des Schreiners Andres Stube, aber noch solange Wiseli da war; das sollte eine Hauptfreude und für Andres und Wiseli eine große Überraschung werden. Es mußte aber noch ein Fest gefeiert werden vorher, denn heute war des Vaters Geburtstag, und schon am frühen Morgen hatten allerlei von Otto und Miezchen erfundene Feierlichkeiten stattgefunden, doch der Hauptmoment des Tages war jetzt gekommen, da es zur Mittagstafel ging. Ganz feierlich hatten Otto und Miezchen sich schon hingesetzt in großer Erwartung aller der Dinge, die da kommen sollten. Nun erschienen auch Vater und Mutter, und das frohe Mahl nahm seinen Anfang. Nachdem das erste Gericht vergnüglich verzehrt worden war, erschien eine zugedeckte Schüssel; das war entschieden das Geburtstagsgericht. Der Deckel wurde aufgehoben, und ein prächtiger Blumenkohl stand da, so frisch, als hätte man ihn eben im Garten geholt.
»Das ist ja eine prächtige Blume«, sagte der Vater, »die muß man loben. Aber eigentlich«, fuhr er etwas enttäuscht fort, »suchte ich etwas anderes unter dem Deckel, Artischocken suchte ich; kann man die nicht auch finden irgendwo, wie Blumenkohl? Du weißt, liebe Marie, ich schaue an gedeckten Tischen nach keinem anderen Gerichte so aus, wie nach Artischocken.«
Mit einem Male schrie das Miezchen auf:
»Eben! Eben! Geradeso hat er mir gerufen zweimal, furchtbar, und
so
hat er den Stecken aufgehoben und
so
« – und Miezchen fuhr ganz aufgeregt mit ihren Armen in der Luft herum –, aber urplötzlich schwieg sie und fuhr schnell herunter mit ihren Armen bis unter den Tisch und war ganz blutrot geworden, und ihr gegenüber saß Otto mit zornigen Augen und schoß flammende Blicke zu Miezchen hinüber.
»Was ist das für eine seltsame Verherrlichung meines Geburtstages?« fragte der Vater mit Staunen. »Über den Tisch hin schreit meine Tochter, als wollte man sie umbringen, und unter dem Tisch durch versetzt mir mein Sohn so entsetzliche Stiefelstöße, daß ich blaue Flecken bekomme. Ich möchte wissen, Otto, wo du diese angenehme Unterhaltung gelernt hast.«
Jetzt war die Reihe an Otto, feuerrot zu werden bis unter die Haare hinauf. Er hatte dem Miezchen unter dem Tisch durch einige deutliche Mahnungen geben wollen, daß es schweigen solle, hatte aber den unrechten Platz getroffen und mit seinem Stiefel des Vaters Bein in erstaunlicher Weise bearbeitet. Das hatte Otto nun entdeckt; er durfte nicht mehr aufschauen.
»Nun Miezchen«, fing der Vater wieder an, »was ist denn aus deiner Räubergeschichte geworden, du kamst ja gar nicht zu Ende. Also ›Artischocke‹ hat der furchtbare Mann dich genannt und den Stecken erhoben und dann?«
»Dann, dann«, stotterte Miezchen kleinlaut – denn es hatte begriffen, daß es auf einmal alles verraten hatte, und daß der Otto den Zuckerhahn zurückfordern würde –, »dann hat er mich doch nicht totgeschlagen.«
»So, das war eine Artigkeit von ihm«, lachte der Vater, »und dann weiter?«
»Dann weiter gar nichts mehr«, wimmerte Miezchen.
»So, so, die Geschichte nimmt also ein fröhliches Ende.
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