Heidi und andere klassische Kindergeschichten
Regen, und nun kann man nicht einmal mehr den lustigen Geißbuben zuhören. Wir wollen fort.”
“Die Kur muß zu Ende gemacht werden, da kann ich dir nicht helfen”, erklärte die Tante.
Dunkel und grau war es auch am folgenden Morgen, und der Regen strömte unausgesetzt nieder. Moni brachte seinen Tag ebenso zu wie den vorhergegangenen. Er saß unter dem Felsen, und seine Gedanken gingen ruhelos immer im Kreise herum. Immer wenn er zu sich sagte: “Jetzt will ich gehen und das Unrecht gestehen, damit ich wieder zum lieben Gott aufsehen darf”, da sah er wieder das Zicklein unter dem Messer vor sich. Er dachte nach, und sein schlechtes Gewissen plagte ihn so sehr, daß er am Abend ganz müde war und im strömenden Regen heimschlich, als merkte er nichts davon.
Beim Badehaus stand der Wirt in der Hintertür und fuhr den Moni an: “Komm einmal mit den Geißen her, sie sind naß genug! Was kriechst du auch wie eine Schnecke den Berg hinunter! Ich wundere mich schon die ganze Zeit über dich.”
So unfreundlich war der Wirt noch nie gewesen, im Gegenteil, immer hatte er dem fröhlichen Geißbuben die freundlichsten Worte zugerufen. Aber Monis verändertes Wesen gefiel ihm nicht, und dazu war er noch schlechter Laune, denn Fräulein Paula hatte ihm ihren Verlust geklagt. Sie hatte behauptet, das kostbare Kreuz könne nur im Haus oder unmittelbar vor der Haustür verloren gegangen sein. Denn sie sei an jenem Tag nur herausgegangen, um abends den heimkehrenden Geißbuben singen zu hören. Daß man aber sagen sollte, es könne in seinem Haus ein so wertvolles Ding verloren gehen, ohne daß man es wieder erhalte, machte ihn sehr böse. Er hatte auch am Tag vorher das ganze Dienstpersonal versammelt, es verhört und bedroht und endlich dem Finder eine Belohnung ausgesetzt. Das ganze Haus war in Aufruhr über den verlorenen Schmuck.
Als Moni mit seinen Geißen an der Vorderseite des Hauses vorbeiging, stand Paula dort. Sie hatte auf ihn gewartet, es wunderte sie so sehr, ob er immer noch nicht wieder singen könne und lustig sei. Als er nun vorbeischlich, rief sie: “Moni! Moni! Bist du denn auch derselbe Geißbub, der vom Morgen bis zum Abend sang:
“‘Und so blau ist der Himmel,
Und ich freu mich fast zu Tod’?”
Moni hörte die Worte, er gab keine Antwort, aber sie machten einen großen Eindruck auf ihn.
Oh, wie war’s doch so anders, als er den ganzen Tag singen konnte und er so fröhlich war wie seine Lieder. Oh, wenn es doch wieder so sein könnte!
Wieder zog Moni zu seiner Anhöhe hinauf, still und freudlos und ohne Gesang. Der Regen hatte nun aufgehört, aber düster hingen ringsum die Nebel an den Bergen, und der Himmel war noch voll dunkler Wolken. Moni setzte sich wieder unter den Felsen und kämpfte mit seinen Gedanken. Gegen Mittag fing der Himmel an, sich aufzuklären, es wurde heller und heller. Moni kam aus seiner Höhle hervor und schaute umher. Die Geißen sprangen wieder lustig hin und her, auch das Zicklein war ganz übermütig vor Freuden über die wiederkehrende Sonne und machte die fröhlichsten Sprünge.
Moni stand draußen auf der Kanzel und sah, wie es immer schöner und heller wurde unten im Tal und oben über dem Berge. Jetzt teilten sich die Wolken und der lichtblaue Himmel schaute so lieblich und freundlich herunter. Es war Moni, als schaue der liebe Gott aus dem lichten Blau zu ihm nieder. Und auf einmal war es in seinem Herzen ganz klar, was er tun mußte, er konnte das Unrecht nicht mehr mit sich herumfragen. Er mußte es ablegen. Jetzt ergriff Moni das Zicklein, das neben ihm umhersprang, nahm es in seinen Arm und sagte mit Zärtlichkeit: “O Mäggerli, du armes Mäggerli! Ich habe gewiß getan, was ich konnte, aber es ist ein Unrecht, und das darf man nicht tun. Oh, wenn du nur nicht sterben müßtest, ich kann es nicht aushalten!” Und nun fing Moni so sehr zu weinen an, daß er nicht mehr weiter reden konnte. Und das Zicklein meckerte wehmütig und kroch tief unter seinen Arm, als wollte es sich ganz bei ihm verstecken und in Sicherheit bringen. Jetzt hob Moni das Geißlein auf seine Schultern.
“Komm, Mäggerli, ich trage dich noch einmal heim heute, vielleicht kann ich dich bald nicht mehr tragen.”
Als er mit seinen Geißen unten beim Badehaus war, wartete Paula schon auf ihn. Moni stellte das Junge mit der Schwarzen in den Stall hinein, und anstatt weiter zu ziehen, wollte er an dem Fräulein vorbei ins Haus gehen. Sie hielt ihn an.
“Immer noch ohne Gesang,
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