Heidi und andere klassische Kindergeschichten
dort.”
Moni war vor Schrecken ganz weiß geworden. Erst konnte er kein Wort sagen, aber jetzt jammerte er laut und rief:
“Nein, nein, das dürfen sie nicht tun, Mäggerli, das dürfen sie nicht tun. Sie dürfen dich nicht schlachten, das kann ich nicht ertragen. Oh, ich will lieber gleich mit dir sterben. Nein, das kann ja nicht sein!”
“Tu doch nicht so”, sagte Jörgli ärgerlich und zog den Moni in die Höhe, der sich in seinem Jammer mit dem Gesicht zu Boden geworfen hatte. “Steh doch auf, du weißt ja, daß das Geißlein nun einmal dem Wirt gehört und er damit machen darf, was er will. Denk doch nicht mehr dran! Komm ich weiß noch etwas: Sieh! Sieh!” Dann hielt Jörgli dem Moni die eine Hand hin, und mit der anderen deckte er den Gegenstand fast zu, den Moni bewundern sollte. Es funkelte aber ganz wunderbar aus der Hand heraus, denn die Sonne blitzte eben dort hinein.
“Was ist’s?” fragte Moni, als es eben wieder aufblitzte, von einem
Sonnenstrahl beleuchtet.
“Rat!”
“Ein Ring?”
“Nein, aber so etwas Ähnliches.”
“Wer hat dir’s gegeben?”
“Gegeben? Niemand, ich hab es selbst gefunden.”
“Dann gehört es aber nicht dir, Jörgli.”
“Warum nicht? Ich habe es niemand genommen, ich wäre fast mit dem Fuß darauf getreten, dann wär’s doch zerbrochen. Ich kann es ebenso gut behalten.”
“Wo hast du’s gefunden?”
“Unten beim Badehaus, gestern abend.”
“Dann hat es jemand aus dem Haus unten verloren. Du mußt es dem Wirt sagen, und wenn du’s nicht tust, so tue ich’s heute Abend.”
“Nein, nein, Moni, tue nur das nicht”, sagte Jörgli jetzt bittend, “sieh, ich will dir zeigen, was es ist. Und ich will es in einen von den Wirtshäusern an ein Zimmermädchen verkaufen, sie muß mir aber vier Franken geben, dann geb ich dir auch einen oder zwei, und dann weiß ja niemand etwas davon.”
“Ich will nichts! Ich will nichts!” unterbrach ihn Moni heftig, “und der liebe Gott hat alles gehört, was du gesagt hast.”
Jörgli schaute zum Himmel auf. “Ja, so weit weg”, sagte er zweifelhaft. Er fing aber gleich an, leiser zu reden.
“Er hört dich doch”, sagte Moni zuversichtlich.
Dem Jörgli war es nicht mehr recht wohl in seiner Haut. Wenn er nur den Moni auf seine Seite zu bringen wußte, sonst war alles verloren. Er dachte lange nach. “Moni”, sagte er plötzlich, “ich will dir etwas versprechen, das dich freut, wenn du keinem Menschen etwas von dem Gefundenen sagen willst. Du brauchst ja auch nichts davon zu nehmen, dann hast du nichts damit zu tun. Wenn du das willst, so will ich dafür sorgen, daß mein Vater doch das Mäggerli kauft. Dann wird es nicht geschlachtet, willst du?”
In Moni entstand ein harter Kampf. Es war ein Unrecht, wenn er dabei half, den Fund zu verheimlichen. Jörgli hatte seine Hand aufgemacht, es lag ein Kreuz darin, mit vielen Steinen besetzt, die in allen Farben funkelten. Moni sah wohl, daß das nicht ein wertloses Ding war, nach dem niemand fragen werde. Wenn er schweigen würde, würde er etwas behalten, was ihm nicht gehörte. Aber auf der anderen Seite war das kleine, liebevolle Mäggerli, das sollte auf schreckliche Weise mit einem Messer getötet werden, und er konnte das verhindern, wenn er schweigen wollte. Eben jetzt lag das Geißlein so vertrauensvoll neben ihm, als wußte es, daß er ihm immer helfen wurde. Nein, er konnte es nicht geschehen lassen, er mußte es retten.
“Einverstanden, Jörgli”, sagte er, aber ohne Freudigkeit.
“So schlag ein.” Und Jörgli hielt Moni seine Hand hin, daß er hinein verspreche, denn nur so galt ein Versprechen unwiderruflich.
Jörgli war sehr froh, daß er nun seiner Sache sicher war. Da aber Moni so still geworden war und er einen viel weiteren Weg nach Hause hatte als Moni, so beschloß er, mit seinen zwei Geißen aufzubrechen. Er verabschiedete sich von Moni und pfiff den beiden Gefährten, die sich inzwischen zu den weidenden Geißen des Moni gesellt hatten. Es hatten einige bedenkliche Angriffe zwischen den beiden Parteien stattgefunden, denn die Fideriser Geißen wußten nicht, daß man mit einem Besuch artig sein muß. Und die Kübliser Geißen wußten nicht, daß man nicht gleich die besten Kräutlein aussuchen und die anderen davon wegdrücken darf, wenn man auf Besuch ist. Als nun der Jörgli ein Stück den Berg hinuntergegangen war, brach auch Moni mit seiner Schar auf, aber er war ganz still und sang keinen Ton und tat keinen Pfiff auf
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