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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Spyri
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Eichenrain eintreten konnte; denn es war ohne Aufenthalt aus allen Kräften dahingelaufen, aus Angst, der Feklitus komme ihm noch nach und wolle es zwingen, etwas anderes zu tun.
    Nora hatte schon lang am Fenster nach ihm ausgeschaut. Als sie es heranrennen und nun stillstehen sah, rief sie ihm voller Verlangen zu: »Komm, Elsli, komm, du kannst schon hier oben ausruhen, du mußt nicht mehr auslaufen.«
    Das Elsli gehorchte. Nora war ganz allein oben im Zimmer und hieß voller Freuden Elsli willkommen. Es mußte sich gleich wieder zu ihr hinsetzen, und sie erklärte ihm nun, daß es gar nicht ausgehen müsse; sie habe die Mutter gebeten, daß es bei ihr bleiben dürfe den ganzen Abend, und die Mutter habe es gern erlaubt; diese sei nun auch selbst ein wenig fortgegangen, was sie sonst nie tun wolle, wenn Nora allein sei.
    »Jetzt habe ich dir auch so viel zu sagen, Elsli«, fuhr Nora fort; »du hast wohl gar noch nie daran gedacht, wie es dann sein wird, wenn wir von der Erde weggehen und in den Himmel kommen?«
    Das Elsli schüttelte den Kopf. »Nein, das habe ich nicht.«
    »O! o!« fuhr Nora ganz belebt fort, und während des Sprechens wurde sie immer lebendiger: »Da weißt du vielleicht gar nicht, wie schön es dann sein wird? Viel schöner als alles, was du bis jetzt gesehen hast, und gar keine kranken Menschen gibt es mehr da, nicht einen, und keiner ist mehr müde, alle sind so glücklich, und hier und da am Strom unter den Blumen treffen sie sich an und freuen sich; – aber wart, ich will dir das Lied der Klarissa sagen, du wirst sehen, wie schön da alles ist.«
    Die großen Augen der Nora wurden immer glänzender und ein immer tieferes Rot kam auf ihre sonst so blassen Wangen, während sie ihr Lied sagte:
    »Es fließt ein Strom kristallenklarDurch immer grüne Auen,Da glänzt der Lilien weiße ScharIm Duft, dem himmelblauen,
    Und Rosen duften, Rosen glühnAuf sonnengoldner Wiese,Und Vögel jauchzen laut im Grün:Wir sind im Paradiese!
    Und immer milde Lüfte wehnAuf all den Blumenwegen,Und Menschen wie im Traume gehnUnd kommen sich entgegen,
    Und grüßen sich allüberallIn Staunen und in Wonne.Sie kommen aus dem dunkeln TalIns Land der ew’gen Sonne,
    Und ziehen selig hin und herUnd wissen nichts von Leide,Die kennen keine Tränen mehr,Die kennen lauter Freude.«
    Das Elsli schaute immer verwunderter auf die Nora, die ganz verändert aussah mit ihren glänzenden Augen und dem so ungewohnt belebten Angesicht. Dazu war Nora so von dem erfüllt, was sie durch die Worte ihres Liedes vor sich sah, daß ihre Stimme zitterte vor innerer Bewegung. Das Elsli blieb stumm und regungslos sitzen vor Erstaunen und tiefgehendem Eindruck von all dem Neuen.
    »Gefällt dir denn das Lied nicht, Elsli?« fragte Nora nach einer längeren Pause.
    »O doch, gewiß«, versicherte das staunende Kind.
    »Wolltest du denn nun nicht auch gern mit mir dorthin gehen, wo es so schön ist?« fragte Nora weiter.
    »Gehst du denn?« fragte Elsli seinerseits etwas unsicher.
    »Ja, ich gehe«, entgegnete Nora ganz zuversichtlich; »Klarissa hat mir schon lange davon erzählt, wie Philo gegangen ist und ich dann bald auch gehe. O, und so viel hat sie mir noch erzählt, wie schön es dann sein wird und wie alle Müden sich freuen und herumgehen am Strom und durch die Blumen und nie, nie mehr müde werden. Das erzähl’ ich dir dann alles nach und nach, und noch so vieles! Nicht wahr, Elsli, du siehst nun, wie es ist, und du willst auch am allerliebsten mit mir gehen, wenn ich gehe?«
    »Ja, ich möchte wohl«, sagte das Elsli, mehr und mehr von den beglückenden Hoffnungen hingerissen, die in Noras Augen leuchteten; »aber glaubst du denn, wir könnten nur so gehen, wann wir wollten?«
    »O nein! So ist es nicht, Elsli; der liebe Gott ruft jedes, wann es kommen soll. Ich wollte nur wissen, ob du auch so gern gehen willst wie ich, daß wir so recht miteinander reden können davon; und vielleicht ruft uns der liebe Gott gleich beide miteinander, weil du ja auch so müde bist. Klarissa hat mir gesagt, darum wisse sie, daß der liebe Gott mich bald zu sich rufen wolle. Denk, Elsli, wie schön, wenn wir beide zusammen gingen und miteinander in den schönen Himmel kämen und da so froh und ganz gesund immer zusammen umhergehen könnten durch die Rosen und Lilien an dem glänzenden Strom, und nie, nie mehr müde werden könnten!«
    Auch Elslis Augen wurden jetzt immer größer, denn immer lebendiger sah es das Land in seiner Herrlichkeit vor

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