Heidi und die Monster
Blumen. Schließlich war Heidi aber doch hinübergedämmert und sah im Traum die roten Felsspitzen am Falkniss und das feurige Schneefeld hoch über der Alp, wo sie mit Peter hinaufeilte. Er schnitzte ihr eine Haselrute, mit der hielt sie die Geißenherde zusammen.
Kapitel 16
Die Wirklichkeit um den Geißenpeter sah anders aus. Zwar fuhr der Frühling mit Macht in die Berge und verwandelte braune Matten und kahle Bäume, dass rings alles in frischem Grün erstrahlte und erste Blättchen an Strauch und Baum erschienen. Das war schön und rein und unberührt, sodass man sich schwer vorstellen konnte, wie in solcher Natur das Unmenschentum sich erhob und den Menschen knechtete.
Peter war voll Angst, die er nur abstreifte, wenn er mit seinen Tieren auf die Hochalm flüchtete. Seine Mutter hatte sich stark verändert, und auch wenn die Anzeichen allmählich und jeden Tag nur ein wenig deutlicher hervortraten, war sie mittlerweile nicht mehr die nämliche Person.
Seit je hatte Brigitte das Nähen, Flicken, Bügeln und Sticken geliebt und war darum viel in der Hütte gesessen. Doch im Frühling trieb es sie regelmäßig hinaus, dann brachte sie ihr Nähzeug ins Freie und verrichtete die Arbeit bei besserem Licht. Gerade das Licht aber war zu Brigittes Feind geworden. Sie floh es immer verbissener, und je heller die Sonne das Häuschen beschien, desto ängstlicher zog Brigitte
sich in den dunkelsten Winkel zurück. Mit dem Essen war es nicht besser. Zunächst hatte sie normale Nahrung - Kartoffeln, Getreidebrei, Milchsuppe - nach dem Verzehr gleich wieder hervorgewürgt. Auf Peters Fragen schob sie es auf eine Verstimmung ihres Magens. Als es schlimmer wurde und Brigitte sichtlich abmagerte, war sie zum Doktor nach Maienfeld gegangen. Der hatte konstatiert, dass ihr Blut zu dünn sei, und eine reichhaltigere Kost verordnet. Brigitte hatte Peter zum Metzger laufen lassen; Fleisch konnten sie sich keins leisten, aber der gute Mann schickte ihr Kutteln, die waren billig und schwammen im Blut des Schlachttieres. Sie hatte sich eine Blutsuppe zubereitet und so gierig verschlungen, dass die blinde Großmutter meinte, ein Vieh säße bei ihnen am Tisch und soff. Der Rat des Arztes schien anzuschlagen, seit dem Blutverzehr kam Brigitte wieder zu Kräften. Es zeigte sich, dass sie solche Kost öfter und öfter verlangte, weshalb Peter an jedem Schlachttag zum Fleischer lief und mit einem großen Topf Blut heimkam.
Eigentlich hätten die Leute im Dorf misstrauisch werden sollen, kannten sie doch die Anzeichen, wenn jemand gebissen worden war und sich in einen Vampir verwandelte. Doch war ihnen noch nie begegnet, dass eine Uuputztä ihr friedliches Gemüt behielt. Sonst wurden die Geschöpfe der Blutsauger durch den Umsturz im Blut stets heimtückisch und angriffslustig, und es war vorgekommen, dass eine frisch verwandelte Uuputztä auf offener Straße nach einer Bekannten schnappte und zubiss. Nichts dergleichen bei Brigitte. Sie blieb die hilfsbereite, gütige Person, als die sie im Dörfli beliebt war, und erschien an Sonntagen, wenn sich die Sonne hinter Wolken verbarg, sogar in der Kirche. Die Dorfbewohner
wussten nicht, dass ein Dämon, der einen wahrhaft guten Menschen befiel, ihn nicht vollständig verwandelte. Bei Brigitte, die in Frieden mit sich und Gott lebte, blieb auch der Dämon friedlich. Er war eben ein Abbild der Seele, in die er sich einnistete.
Peter aber, der seine Mutter liebte und besser kannte als irgendjemand, ließ sich von ihrer Friedfertigkeit nicht täuschen. Lange zögerte er, bis er seinem einzigen Vertrauten, dem Alm-Öhi endlich von ihrer Wandlung berichtete. Der alte Mann, noch grauer und bitterer geworden, hörte ernst zu und antwortete schließlich: »Ich schau sie mir an.«
Zur Zeit, wenn Peter die Geißen ins Tal hinabtrieb, stieg der Öhi mit ihm vom Berg; Seite an Seite erreichten sie das Geißenpeterhaus. Der Großvater grüßte und bat Brigitte auf ein Wort ins Freie. Das war ein wohldurchdachter Plan von ihm. Um diese Stunde verschwand die Sonne nämlich für eine Weile hinter dem Gebirgsmassiv, um später noch einmal glutrot hervorzutauchen, bevor sie sank.
Der Öhi und Brigitte setzten sich im Freien auf die Bank und redeten über die neue Jahreszeit, sie erzählte, was sich im Dorf begab. Sorgenvoll sah der alte Mann die pergamentene Gesichtshaut der früher so vollwangigen Frau, beobachtete, wie ihre Finger nervös mit dem Kreuz am Halse spielten, als ob es sie brannte.
»Hast du
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