Heidi und die Monster
Aufgaben im Haus langweilig vor; Schuheputzen und Staubwischen, Wäscheaufhängen, Bohnern und Bettenmachen waren nicht nach dem Geschmack von einer, die bisher mit den Gelüsten der Männer jongliert hatte. Obwohl auch Unangenehmes und Schmutziges zu ihrem Beruf gehörte, hatte Tinette die Macht, die sie über das Männervolk besaß, genossen. Da waren Herren mit Lackschuhen und Seidenkrawatten darunter gewesen, Männer in genagelten Stiefeln, mit Tätowierungen. Sie hatten sich in Tinettes Liebeslaube in rasende, röhrende Kerle verwandelt. Mancher hatte im leidenschaftlichen Spiel um ihre Liebe gebettelt und war schweigend und überwältigt von ihr gegangen. Andere hatten den Taumel der Umarmung dazu benutzt, der Allgegenwart des Todes zu entfliehen: Die Kurtisane hatte an lüsternen Messen teilgenommen, die das Leben in seinem Widerspruch zum schauderhaften Tod feierten.
So betrachtet, war Tinettes neues Leben eintönig. Zum Zeitvertreib befriedigte sie wohl das Begehren des einen oder anderen Wächters, doch es war etwas anderes, auf dem Schlachtblock, wo Dete die Hühner ausnahm, eine hastige
Körperverrenkung anzustellen oder in der Doppelgestalt von Jäger und Wild durch Frankfurts Straßen zu streifen.
Der stumpfen Behaglichkeit im Sesemannhaus überdrüssig, hatte Tinette einen Zeitvertreib gefunden, der ihr nirgendwo sonst in der Stadt geboten wurde - das Bad. Nachts, wenn alles zur Ruhe gegangen war, schlich sie in den Herrschaftstrakt, zündete das Gas an und heizte den Badeofen. Sie ließ Wasser in die marmorne Wanne und streifte ihre Kleider ab. Während sie wartete, dass das Bad volllief, betrachtete sie sich im Spiegel und fand ihr Vergnügen an den Formen ihres jungen Körpers. Die helle Haut bildete einen wunderbaren Kontrast zu den schwarzen Steinfliesen der Wände, und es kam vor, dass Tinette nackt durch den Baderaum tanzte und dabei summte. Niemand war bis jetzt auf ihr Tun aufmerksam geworden, hinterher schrubbte sie die Wanne sauber und hinterließ alles in seiner Ordnung.
Da diese Nacht Aufruhr die Gemüter durchwehte, lag Fräulein Rottenmeier in nie erlebter Schlaflosigkeit. Der Schlummer eines ruhigen Gewissens war ihr sonst sicher, man hörte das Fräulein laut schnarchen. Nun stand sie auf, warf den cremefarbenen Morgenmantel über, schlüpfte in ihre Pantoffeln und lief auf den Flur. Ohne Licht zu machen, tappte sie den Korridor entlang und hielt plötzlich inne, da sie Ungewöhnliches aus dem Bad vernahm. Mit einem Ruck öffnete sie die Tür und stand dem nackten Stubenmädchen gegenüber.
»Was geschieht hier?«, fragte sie, nicht auf ihre gewohnt resolute Art, vielmehr staunend. Denn das einsame Fräulein, dessen Leben einzig auf sinnvolle Tätigkeiten ausgerichtet war und das jedes Vergnügen als verbotene Frucht betrachtete, hatte noch nie so etwas Schönes gesehen.
Tinette, für die der Körper Werkzeug ihres Broterwerbs war, empfand keine Scheu, zumal sie einer Geschlechtsgenossin gegenüberstand. An der Situation gab es nichts abzuleugnen; sie wollte baden. Was man ihr dabei einzig vorwerfen konnte, war die Verschwendung von Wasser und Gas.
»Tagsüber habe ich für die Körperpflege keine Zeit«, erwiderte sie. »Ich muss es zur Nacht tun.«
»Zur Nacht, so, aha«, wiederholte die Rottenmeier verwirrt.
Dampf hatte sich ausgebreitet, das Zimmer war zu einer feuchten, dunstigen Welt geworden, die mit der gesitteten Atmosphäre des Hauses kontrastierte.
»Will sie etwa auch baden?«, erkundigte sich Tinette lächelnd.
»Ich? Ach du lieber …!« Hektisch schlug das Fräulein den Spitzenkragen vor seine Brust. Da ihr andere Körper etwas Fremdes waren, wandte sie diese Fremdheit auch auf ihre eigenen Glieder an; tatsächlich hatte sich die Einsame seit Ewigkeiten nicht mehr unbekleidet im Spiegel betrachtet. Ihre Morgentoilette war kurz und spartanisch und fand am Waschtisch in ihrem Zimmer statt.
»Es würde ihr gewiss Entspannung bescheren.« Tinette zeigte auf die Wanne. »Und wäre doch schade um das schöne heiße Wasser.«
»Sie meint…jetzt…und hier?« Rottenmeiers Stimme war rau vor Aufregung.
»Nun ja, alles schläft, was sollte uns hindern, unseren Körpern etwas Gutes zu tun?« Arglos setzte Tinette ein Bein ins Nass.
»Wir beide … zusammen?« Das Anerbieten war für die
Rottenmeier der Gipfel des Unvorstellbaren. Und doch veranlasste es sie, ihr zum Schlafen herabgelassenes Haar hochzustecken und die Kordel zu fassen, die ihren Mantel
Weitere Kostenlose Bücher