Heidi und die Monster
Geräusch gewesen, das Heidi vernommen hatte.
»Klara, ich wollte fragen …«, begann es.
Am erstaunten Blick der Freundin, an den aufgerissenen Augen des Kandidaten erkannte Heidi, hier ging Ungewöhnliches vor sich. Ein merkwürdiger Geruch lag im Zimmer.
»Du schläfst noch nicht?«, flüsterte Klara, lallte es eigentlich nur.
Der Kandidat richtete sich auf. »Zu dir wollte ich später kommen.«
Während er sprach, entdeckte Heidi etwas, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Aus dem Gebiss des Lehrers ragten zwei spitze Eckzähne hervor. Das hatte der Großvater Heidi oft eingeschärft, darauf Acht zu geben: Kurz bevor sie zubissen, träten bei den Uuputztä für einen Moment ihre Reißzähne zutage. Das käme daher, dass diese Geschöpfe zur Hälfte vom Dämonenwolf abstammten.
»Bist du ein Uuputztä?«, fragte Heidi in heftigem Schreck. »Willst du Klara etwa beißen?«
Die Direktheit der Frage brachte Marus für einen Augenblick aus der Fassung. »Nun, ich hatte vor …«
»Du bist ein Dämonenwolf!«, rief das Kind. »Uuputztä,
Uuputztä!« Es stürzte zum Bett und ergriff die Hand der Freundin. »Lass Klara in Ruhe!«
Diese, unfähig, die Gefahr zu begreifen, sah in Heidis Erscheinen eine Störung ihrer Glückseligkeit. »Geh weg! Lass uns in Ruhe! Er tut mir nichts!«
»Tut nichts, tut dir nichts?« Heidi packte die Hand noch fester. »Warum kriegt er dann lange Zähne, so lang wie die von einem Wolf?« Es zog und riss und wollte Klara unbedingt von dem Kandidaten entfernen.
Ihrem Gefühl gehorchend zerrte Klara zurück und warf sich in die Arme von Marus. »Aber ich will, ich will es ja!« Hingebungsvoll schaute sie zu ihm auf. »Mach mit mir, was du magst!«
»Nein! Ich leide es nicht!« Heidi sprang auf das Federbett; schwankend trat es dem Professor entgegen. »Geh weg von ihr! Sie kann sich nicht wehren!« Drohend hob Heidi seine kleine Faust und schlug sie gegen Marus’ Brust.
Der Vampir musste einsehen, dass seine Absicht, die Liebe des Schweizer Kindes zu gewinnen, gescheitert war. Verblüfft hatte er dem Hin und Her zwischen den Mädchen zugesehen, nun bereitete er der Sache ein Ende.
»Wie du willst!«, fletschte er und fuhr Heidi in all seiner Grausamkeit an. Er schob Klara beiseite und riss das kleine Mädchen an sich. »Dann kommst du eben als Erste an die Reihe!«
»Nein, ich!« Verzweifelt rutschte Klara im Bett nach vorn und versuchte wieder in Marus’ Arme zu gelangen. »Nimm mich!«
»Hör auf!«, schrie Heidi. »Ich will keine Uuputztä sein!«
Doch so sehr es sich wehrte, strampelte und um sich
schlug, den Kräften des Untoten war es nicht im Geringsten gewachsen. Er hielt Heidis kleinen Körper fest und schlug seine Eckzähne in ihren Hals. Ein Strom hellen, sauberen Blutes quoll aus dem Kinderhals, ergoss sich über die Lippen und das Kinn des Vampirs, bespritzte aber auch Klaras Nachthemd. Fasziniert starrte die Tochter des Hauses auf die leuchtend roten Flecken, die sich auf dem weißen Stoff ausbreiteten.
Plötzlich ertönte eine junge, gebrochene Stimme. »Nein!«, gellte es durch das Zimmer. In der Tür stand der Geißenpeter. »Nein!«
Als er und Tinette Heidi nicht auf ihrem Zimmer gefunden hatten, waren sie weitergeeilt, hatten die Tür zu Fräulein Rottenmeiers Zimmer offen gefunden und die blutige Angelegenheit dort entdeckt. Danach waren sie Heidis Schreien über den Korridor gefolgt.
»Peter!«, antwortete Heidi, während ihr Blut nur so sprudelte. Die Freunde sahen einander an.
So wurden Peter und Heidi im selben Augenblick wieder vereint, als Heidi das Allerschrecklichste widerfuhr. Es war in die Fänge des Untoten geraten. Es war gebissen worden. Peter kam zu spät.
Kapitel 21
Kam Peter wirklich zu spät? Er sah Heidis Blut, sah das gefräßige, blutüberströmte Maul des Monsters. Peter war noch jung, er hatte in seinem Leben bisher keine Heldentaten vollbracht. Aber er hatte sein großes Gefühl für Heidi, so lieb war sie ihm, wie der Himmel oder die Geißen. Peter hatte nicht nur die guten Ratschläge des Alm-Öhi im Gepäck, sondern auch etwas Praktisches.
Flink nahm er seinen Rucksack vom Rücken und fasste eins der geschnitzten, geweihten Pflöckli, deren Spitze weiß leuchtete. Er packte es mit beiden Händen, nahm Anlauf und brachte den Pflock dabei in Anschlag. Ehe der Professor es sich versah, bohrte der Geißenbub dem Vampir das Holz tief in die Brust. Da stand es nun hervor. Alle im Zimmer starrten auf den Pfahl, den der
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