Heimat Mars: Roman (German Edition)
wenigstens zeitweise … Kannst getrennt von ihm arbeiten.«
»Ja, aber ich vermisse ihn«, sagte ich.
»Ich will ganz offen mit dir sein. Mit deiner Berühmtheit kannst du mir helfen … kannst du Erzul helfen. Vielleicht ist dir schon aufgefallen, dass ich eine ehrgeizige Frau bin.«
Ich lachte. »Vielleicht ist dir schon aufgefallen, dass ich keine ehrgeizige Frau bin.«
»Du bist sehr tüchtig. Und du kennst dich bei dir selbst nicht immer aus. In dir schlummert ein Mensch, der heraus und wichtige Dinge tun will. Was dir bis jetzt gefehlt hat, waren die richtige Gelegenheit und die richtigen Mitstreiter, oder nicht?«
Ich wandte den Blick ab. Es machte mich nervös, dass sie mich auf diese Weise analysierte.
»Ich habe Majumdars Berichte über die Reise zur Erde gelesen. Du hast viel geleistet. Bithras war auch nicht so schlecht, aber er hatte seine Schwächen und ist gestrauchelt, und das reichte schon. Falls die Erde mit ihm ein Abkommen hätte schließen wollen, hätte sie es trotzdem getan. Also quäle dich nicht mit dem herum, was passiert ist.«
»Damit hab ich schon lange aufgehört«, sagte ich.
Ti Sandra nickte. »Die BG Erzul ist bereit, ihre Aufgabe zu erfüllen. Es scheint der richtige Zeitpunkt zu sein. Wer feige ist und zu spät kommt, den bestraft die Geschichte. Wir werden geachtet, sind konservativ und durch und durch Marsianer. Wir haben die beste Ausgangsstellung, um als Katalysator zu wirken. Die Bezirksgouverneure sind bereit, mit den BGs Kompromisse zu schließen. Uns alle beunruhigen die Offerten, die die Erde der BG Cailetet und anderen BGs macht …«
»Du willst die Vereinigung vorantreiben?«
Sie lächelte breit. »Diesmal können wir es richtig machen. Kein Kuhhandel im Hinterzimmer. Keine Anwälte, die sich nur herumstreiten. Es sollte eine verfassungsgebende Versammlung stattfinden, an der alle Menschen teilnehmen. Durch Delegierte.«
»Klingt ganz nach Erde«, warf ich ein. »Die BGs sind nicht daran gewöhnt, Familienstreitigkeiten öffentlich auszutragen.«
»Dann sollten wir es lernen.«
Sie umriss meine Aufgaben. Die wichtigste bestand darin, die Rechtsvertreter der größten BGs aufzusuchen, bei inoffiziellen Gesprächen ihre Positionen zu sondieren und damit die Grundlage für einen besser durchdachten und breiter getragenen Verfassungsentwurf zu schaffen.
Die BG Erzul hatte nichts dabei zu verlieren, wenn sie eine verfassungsgebende Versammlung einberief, zu der alle BGs, selbst die mit engen Verbindungen zur Erde, eingeladen waren. Die Erde, da war sich Ti Sandra ganz sicher, würde erst einmal abwarten, während wir ans Werk gingen. Und dann dort, wo sie es für richtig hielt, Druck machen, um eine ihr genehme Verfassung durchzusetzen …
»Aber sie bekommen es mit diesen Fäusten zu tun, wenn sie uns auch nur anstupsen«, sagte sie und lächelte breit. »Mit zwei starken Frauen, mit einem sturen, eigenwilligen Planeten und jeder Menge Arbeit, die zwischen Morgenkaffee und Nachmittagstee unmöglich zu schaffen ist. Machst du mit?«
Wie sollte ich nicht? »Wir sind für sie so unberechenbar wie Steinschlag«, fiel ich ein.
»Und so tückisch wie Treibsand«, ergänzte sie.
Wir lachten und tauschten einen festen Händedruck.
Wir waren nicht so naiv anzunehmen, die BG Erzul pokere als einzige in dem politischen Spiel, das in der Vorbereitung einer verfassungsgebenden Versammlung bestand. Andere waren schon seit geraumer Zeit am Werk. Und wie immer, wenn es um die Politik geht und Menschen beteiligt sind, gab es Mitspieler, die überholte Theorien, überholte Ideale, alte und schädliche Doktrinen verfochten. Die politischen Klamotten, aus denen die Erde längst herausgewachsen war, wurden jetzt von Marsianern aufgegriffen, an- und ausprobiert.
Das Jahr, in dem wir die verfassungsgebende Versammlung vorbereiteten, war eine gefährliche Zeit. Da gab es zum einen die Verfechter eines Eliteprinzips. Manche von ihnen wärmten die Politik der Zentralisten wieder auf, andere hüllten sich in noch beflecktere Mäntel der Theorie. Ihrer sturen Überzeugung nach sollten die Privilegien, die diese oder jene Gruppierung ganz zufällig aufgrund historischer oder natürlicher Entwicklungen innehatte, in Steintafeln gemeißelt werden. Und diese Steintafeln wollten sie vom Berg in die Ebene tragen und deren Inschrift dem Volk als Gebot verkündigen.
Da waren zum anderen die Populisten. Sie waren der Auffassung, das Volk müsse jedem Individuum, das sich aus der Herde
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