Heimat Mars: Roman (German Edition)

heraushob, den Volkswillen aufzwingen und es auf Normalgröße zurechtstutzen – selbstverständlich mit Ausnahme der Führer einer wie auch immer gearteten künftigen populistischen Regierung. Diesen Führern kam natürlich eine Sonderstellung zu, da sie dem Volk das politische Heil bringen und es von seinen politischen Sünden erlösen würden.
    Auch die Religion erhob ihr Haupt. Die Christen, Mohammedaner und Hindu-Gruppierungen, die bisher nur als Unterströmungen im marsianischen Leben (sogar in der BG Majumdar) zu spüren gewesen waren und sich lange Zeit zurückgehalten hatten, sahen jetzt ihre historische Chance und eilten aufs große politische Parkett.
    Für die Grundbesitzer bedeutete das, worauf wir hinarbeiteten, natürlich das Ende der privaten Nutzung ihrer Ländereien und der uneingeschränkten Ausbeutung der Schätze der Natur. Das waren Privilegien, die diese Familien aufgrund der alten Siedlungsrechte erhalten hatten. Die Einsetzung von Bezirksgouverneuren und die Einrichtung eines Rates mit geringen Machtbefugnissen hatten diesen Prozess zwar schon von Jahrzehnten eingeleitet. Aber es stellte sich als furchtbar schwierig heraus, ihn zu Ende zu bringen. Nicht nur Organismen, auch Institutionen verabscheuen das Sterben.
    Sechs lange und anstrengende Monate lang reisten Ti Sandra und ich mit einem halben Dutzend Gleichgesinnter aus dem lockeren Bündnis der BGs Erzul, Majumdar und Yamaguchi kreuz und quer über den Mars. Wir nahmen an Konferenzen der Rechtsvertreter teil, leisteten Überzeugungsarbeit, versuchten, übertriebene Ansprüche auf ein realistisches Maß zu bringen und Balsam auf die Wunde des verletzten politischen Stolzes oder des Familienstolzes zu gießen. Wir wollten glaubhaft machen, dass alle die gleiche Last tragen und in gleicher Weise ungeheuer davon profitieren würden.
    Einige BGs, allen voran Cailetet, widersetzten sich nicht nur. Sie taten noch mehr.
    Cailetet galt bei den marsianischen BGs schon lange als eine Institution, die sich unangenehm durch die Gerissenheit und ihren übertriebenen Eigennutz von den anderen unterschied. Cailetet war ursprünglich eine BG auf dem Mond gewesen. Am Anfang des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts hatte sie eine Zweigniederlassung auf dem Mars gegründet, die enge Verbindung zu Mond und Erde hielt. Aufgrund der Finanzspritzen von Mond und Erde wuchs Cailetet schneller als viele andere BGs jener Tage. Nachdem die Erde den Mond fest umschlungen hatte, wurde Cailetet mit der Zeit zum Sprachrohr für terrestrische Belange. Für eine gewisse Zeit floss jede Menge Geld aus Kanälen des Dreierbundes nach Cailetet – Geld, das verdächtig nach der Erde roch.
    Cailetet hatte die Olympier geschluckt, finanziert und für sich selbst als eine Forschungs-BG geworben, die ausgezeichnete Möglichkeiten auf dem Mars bot … Aber das hatte von heute auf morgen aufgehört.
    Inzwischen sah es so aus, als wolle die Erde nicht mehr viel mit der BG Cailetet auf dem Mars zu tun haben. Das Geld, das die BG von Erde oder Mond erhielt, strömte nicht mehr, sondern tröpfelte. Investitions- und Entwicklungsvorhaben wurden eingestellt. Cailetet hatte seinen Zweck erfüllt (welchen auch immer) und wurde links liegengelassen. Verständlicherweise waren der Rechtsvertreter und die Anwälte der marsianischen BG Cailetet sauer. Sie hatten es bitter nötig, ihre Vormachtstellung wieder geltend zu machen. Und nur der Mars bot das wirtschaftliche und politische Terrain, auf dem Expansion möglich war.
    Der Rechtsvertreter von Cailetet Mars starb im Jahre 2180, genau zu der Zeit, als Ti Sandra und ich unsere Arbeit aufnahmen. An seine Stelle trat ein Mann, den ich nur flüchtig kannte, aber nicht ausstehen konnte. Er war aus dem irdischen Exil zurückgekehrt und hatte rasch Verbindungen mit den Anwälten Cailetets geknüpft, die sich am meisten an der Erde orientierten. Einen Monat nach dem Tod seines Vorgängers schlugen sie ihn für das Amt des Rechtsvertreters vor. Das Wahlergebnis war knapp, aber die Mitglieder der BG Cailetet waren empfänglich für seine feste Absicht, Macht und Einfluss zurück zu erobern.
    Er hieß Achmed Crown Niger. Ich hatte ihn zuletzt in der Mars-Universität Sinai gesehen, als er an den Rockschößen der Gouverneurin Freechild Dauble gehangen hatte. Dauble hatte ihn während der Studentenrebellion mit der Leitung der Universität beauftragt und der Rektorin Connor praktisch vor die Nase gesetzt. Nach dem Scheitern der zentralistischen Bewegung war