Heimat Mars: Roman (German Edition)
ich.
»Eine Art Aufschwemmung«, meinte Ilya. Er streckte die Hand aus, um die gelatineartige Masse zu berühren. Sie blieb an seinem Handschuh kleben.
»Schneckenschleim«, sagte ich.
»Echter, erstklassiger Schleim«, bestätigte Ilya und hob seinen Handschuh hoch.
»Warum ist er nicht ausgetrocknet?«, fragte ich.
Er sah mich an. Seine Stirn war blass. Die Wangen waren gerötet, die Augen weit aufgerissen. Über Funk konnte ich hören, wie schnell er atmete. »Ringsum gibt es überall Wasser. Der graue Staub besteht aus Eis und Lehm, und der Lehm hat das Eis daran gehindert, sich zu verflüchtigen. Aber die Temperatur ist so hoch, dass das Eis jetzt schmilzt und die Kapsel Feuchtigkeit bekommt. Es ist die richtige Mischung, genau das, was die Kapsel braucht.«
Der Schleim wurde merklich dicker. Die Muster, die darin enthaltene weiße Fädchen bildeten, sahen wie bei kleinen Spitzendeckchen aus.
»Was, glaubst du, wiegt der Block?«, fragte Ilya und maß ihn mit den Armen aus.
»Vielleicht eine Vierteltonne«, antwortete ich.
»Wir könnten ihn nicht weit tragen. Vielleicht können wir das Labor nahe genug heranfahren und die stärksten Roboter hier raufholen …«
Ich zog mein Kom heraus und stellte es auf visuelle Aufzeichnung ein.
»Gute Idee«, sagte Ilya. Er füllte eine Probe des Schleims und Teile des ›Spitzengewebes‹ in ein Glasfläschchen.
»Glaubst du, es ist …?«, wollte ich fragen.
»Sprich’s nur nicht aus«, warnte er. »Was es auch sein mag: Es ist ein höchst kompliziertes Wunder. « Er klang wie ein kleiner Junge, der ein neues Spielzeug hat.
Ich blickte nach oben, auf die grauen Schleier und die Sonne, die durch die Wolken brach. Es sah so sehr nach Regen aus, wie das auf dem Mars überhaupt möglich war.
»Es ist nur ein Fragment«, sagte Ilya und versuchte, die Kapsel in ihrer Wiege aus Kieseln und Staub hin und her zu schaukeln. »Was kann ein Fragment hervorbringen? Die ganze Ecos?«
Er reichte mir das Glasfläschchen. Während er weitere Proben entnahm, starrte ich das Spitzengewebe innerhalb der entnommenen Masse an. Es war nicht breiter als zwei Zentimeter und so fein wie Gaze. Ich hatte keine Ahnung, was es war. Das Stück eines zellularen Knochengebildes? Die Schablone für Zytoplasma? Ein Samen? Ein Ei? Ein winziges kleines Baby?
Vielleicht ein Marsianer.
Nach unserer Rückkehr zum Stützpunkt Olympus wurden wir innerhalb von zwei Tagen zu berühmten Leuten. In den Sendungen von LitVid und im Netz des ganzen Dreierbundes feierte man uns wegen unserer ›epochalen Entdeckung‹, der ersten Entdeckung von wachstumsfähigem extraterrestrischen Leben innerhalb unseres Sonnensystems. Dass wir die Entdeckung ausgerechnet während unserer Hochzeitsreise gemacht hatten, goss noch Öl aufs Feuer unserer Berühmtheit.
Für die wissenschaftliche Gemeinde des Mars war unsere Entdeckung schon mehr als peinlich. Ilya war ein Fossiliengräber und Bodenspezialist. Er grub Dinge aus, aber hatte nur wenig Kenntnisse der Biochemie. Anfangs war die Reaktion der Wissenschaftler eher skeptisch bis ablehnend: Wie konnte es angehen, dass wir genau zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen waren, um das ›Aufblühen‹ einer Kapsel zu beobachten?!
Einen Großteil der folgenden zwei Wochen verbrachten wir damit, Interviews zu geben oder auch abzulehnen. Mitteilungen und Anfragen strömten herein: Sie boten uns Riesensummen für eine unversehrte Kapsel. (Dabei war Ilya ja gar nicht der persönliche Eigentümer irgendwelcher Kapseln, die er entdeckt hatte. Sie gehörten selbstverständlich der BG Erzul). Schulkinder baten um Informationen. Man schlug uns vor, aus unserer Geschichte LitVids und Simulationen zu machen.
Allgemein schien es die Öffentlichkeit gar nicht zu interessieren, dass das Plasma der Kapsel abgestorben war, noch ehe wir sie nach Olympus bringen konnten. Der ›Marsianer‹ zerfiel innerhalb weniger Stunden in einfache Proteine und Monosaccharide. Das war an sich schon bemerkenswert, da diese Proteine und Saccharide ja aus Lehm, Quarz und mineralhaltigem Wasser hervorgegangen waren – aber doch wohl kaum der Stoff für Liebes- oder Abenteuergeschichten.
Allerdings hatten wir tatsächlich zwei Dinge bewiesen: Erstens, dass Kapseln immer noch lebensfähig sein konnten. Und zweitens, dass die genetischen Informationen für eine marsianische Ecos in den mineralischen Schichten innerhalb der Kapsel enthalten waren, eingeschlossen in die winzigen Komplexitäten von Quarz
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