Heimat Mars: Roman (German Edition)
und Lehm. Wahrscheinlich hatte es nie spezielle Organe zur Unterstützung der Ecos-Reproduktion gegeben.
Allerdings konnten Kapselteile allein nicht einmal ansatzweise eine Ecos hervorbringen. Es waren ganze Kapseln erforderlich.
Die Biologen konnten einiges von diesem Prozess verstehen – aber nicht alles. Wie der Trick funktionierte, der die Reproduktion möglich machte, konnten auch sie nicht sagen. Ganze Kapseln reagierten einfach nicht darauf, dass man sie ins Wasser tauchte oder mit Wasser begoss. Es musste irgendeine Kombination von Wasser, wasserlöslichen Mineralien und Temperatur sein, die die Kapseln zur Reproduktion anregte. Und diese Kombination hatte in Cyane Sulci existiert. Aber alle Versuche, diese Bedingungen im Labor nachzustellen, blieben ohne Ergebnis.
In den Sulci hatte sich der graue Eisstaub längst gelegt, war in den Boden gesickert oder verdunstet. Die Landschaft mit ihren gewundenen Canyons bot auch keinen direkten Anhaltspunkt. Der günstige Augenblick war vorüber. Und keine Kapsel, ob verborgen oder ausgegraben, hatte erfolgreich für Nachwuchs gesorgt.
Vielleicht war ihre Zeit doch schon vorbei.
Charles schickte mir eine Nachricht:
Liebe Casseia,
jetzt mischst du also in der Großen Wissenschaft mit, mein Glückwunsch! Wie schön, dass du den Fossilien treu geblieben bist. Ilya und dir wünsche ich alles Gute. Ich bewundere seine Arbeit sehr. Und jetzt das noch!
Mit der Findergabe ist er wirklich reich gesegnet!
Mein kurzer, höflicher Brief an Charles blieb ohne Antwort. Ich war, ehrlich gesagt, zu beschäftigt, um mir darüber Gedanken zu machen. Mein neues Leben erfüllte mich viel mehr als das alte. Und das lag vor allem an Ilya. In der kurzen Phase unserer Berühmtheit agierte und reagierte er mit gesundem Menschenverstand, ihm stieg nichts zu Kopf. Die Briefe der Schulkinder beantwortete er schneller als die Anfragen der Wissenschaftler. Ich half ihm beim Formulieren.
Miss Anne Canmie
Technische Fachschule Darwin
Darwin, Australien
GASH – EF2 – ER3 – WZ16
Liebe Anne,
ich erinnere mich noch gut daran, wie begeistert ich war, als wir die zerbrochene Kapsel fanden und beobachten konnten, wie sie ›zum Leben erwachte‹. Allerdings wussten Casseia und ich beide, dass diese Entdeckung sehr viel Arbeit nach sich ziehen würde und wir, ehrlich gesagt, nicht die richtige Leute dafür sein würden.
Dein Wunsch, zum Mars zu kommen und zur Erforschung der Kapseln beizutragen, ist ein wunderbares Vorhaben! Vielleicht wirst Du diejenige sein, die das Rätsel löst – und es ist wirklich ein kniffliges Rätsel! Casseia und ich hoffen zuversichtlich, dass wir irgendwann in Deinen Abschnitt des Sonnensystems kommen. Vielleicht können wir uns dann treffen und unsere Aufzeichnungen miteinander vergleichen.
Anlage:
Freigegebenes LitVid-Programm – mit freundlichen Grüßen an die Schülerinnen und Schüler und an das Lehrerkollegium der Technischen Fachschule Darwin.
Unser Starruhm verblasste. Wir lehnten die Angebote für Sim- und LitVid-Projekte ab. Wir wussten, dass sowieso nur wenige (wenn überhaupt welche) geklappt hätten, und das Geld brauchten wir nicht. Der BG Erzul ging es wirtschaftlich gut. Ich wurde ins Management geholt und musste mich wieder mit Betriebswirtschaft befassen. Bald würden Charles und ich sowieso nicht mehr viel Zeit für einander haben.
Die Erfahrung der Todesnähe hatte tief in meinem Innern irgend etwas ausgelöst. Ich brauchte Wochen, um mir darüber Klarheit zu verschaffen. Ich litt unter wiederkehrenden Albträumen. Manchmal erstickte ich in diesen Träumen. Manchmal flog ich mit einem Hochgefühl, das sich in schreckliche Angst verwandelte, wenn ich abstürzte, in der roten Erde versank und darin begraben wurde … Gelegentlich wachte ich inmitten zerwühlter Laken neben Ilya auf und fragte mich, ob ich wohl irgendeine Therapie nötig hätte. Aber die Ursache meiner Albträume lag nicht in der Tatsache, dass wir dem Tod nur knapp entronnen waren.
Ich redete mir ein, ich wolle nichts anderes als eine Arbeit, die mir die ständige Nähe zu Ilya und das in emotionaler Hinsicht befriedigende Leben einer Ehefrau ermöglichte. Ich sagte mir, ich müsse mich nur, soweit machbar, von Glanz und Gloria der LitVids fernhalten (das war uns bislang ganz und gar nicht gelungen). In der Rückschau erkenne ich allerdings ganz deutlich, dass diese äußerlichen Wünsche gar nicht mit den Bedürfnissen tief in meinem Innern
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