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Heimat

Heimat

Titel: Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Schmitt-Roschmann
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Kinder seien alle »aus gutem Elternhaus«. Insgesamt sei das Leben in dem bürgerlichen Stadtteil im Süden Berlins einfach weniger anstrengend, die Atmosphäre weniger geladen, die Probleme weniger massiv. »In Mariendorf gibt es zwar auch Ausländer, aber irgendwie sind sie mehr integriert in die deutsche Kultur.«

    Dass die Aufsteiger Nordneukölln verlassen, hat auch Elisabeth Kruse beobachtet. »Auch viele Türken, die etwas auf sich halten, wollen hier nicht mehr wohnen«, sagt die Pfarrerin vom Herrfurthplatz. Dass alles immer schlimmer wird, will sie allerdings nicht akzeptieren. »Ich bin Berufsoptimistin«, sagt sie, leise ironisch.

    Als Kruse die Gemeinde übernahm, hatte sie letztlich die Wahl, die marode Kirche dicht zu machen oder etwas radikal Neues auszuprobieren. Sonntags zum Gottesdienst, mit 14 zur Konfirmation, in Krisen zum Pastor - das war einmal: Die Bewohner im Schiller-Kiez
wünschen sich die Kirche als »niedrigschwelligen Treffpunkt« - so fand es jedenfalls das Quartiersmanagement in einer Befragung heraus.

    Mit Fördermitteln von der EU, vom Bund und von der Fernsehlotterie wurde das Gebäude instand gesetzt und um zwei Anbauten erweitert - in einem ist nun das »Café Selig«, im anderen das Pfarrbüro. »Die Kirche hat Flügel bekommen«, freut sich die Pastorin. Die Gemeinde gründete 2006 ein »interkulturelles Zentrum«, das sich nun um christlich-islamische Veranstaltungen bemüht, zum Beispiel zu »Nikolaus, dem Heiligen aus Anatolien«. Es gibt Afrikafeste und Lesungen und Konzerte, Abende der Begegnung. Manchmal kommen einige ältere türkische Männer ins Café. »Da freue ich mich, dass sie nicht unter sich bleiben in ihren eigenen Cafés«, sagt Kruse. Insgesamt hält sie die Lage im Stadtteil aber immer noch für sehr schwierig. Sie freut sich über jeden, der Arbeit hat und bleibt oder gar hierher zieht in den kippeligen Kiez.
    Es gibt allerdings Bewohner, die sehen das ganz anders. »Wohnraum für alle statt Edelkiez«, haben sie an eine Hauswand gesprüht. Neulich haben Unbekannte das Büro des Quartiersmanagements überfallen. Sie nannten sich »die Überflüssigen«.

    Montagabend treffen sich 15, 20 junge Leute zur Stadtteilversammlung im »Syndikat«. Die Kneipe in der Weisestraße ist vielleicht der letzte echte Hort der Selbstdrehzigarette. Schon vor Beginn hängen dicke Schwaden über dem Billardtisch, auf dem die Organisatoren ihr Infomaterial über Miethaie und Luxussanierungen aufgebaut haben. Als erstes erhält Joachim von der Berliner Mietergemeinschaft das Mikrofon, er hat jede Menge Zahlen dabei, warum Wohnungen in der Hauptstadt immer knapper werden und damit auch die Mieten immer höher. Dann sagt er, wer schuld ist, nämlich der Berliner Senat, der sich ausschließlich auf die Förderung der Mittelschicht konzentriere, jener Townhouse-Besitzer und Baugruppen, die zusammen in der Stadt Mehrfamilienhäuser errichten. »Aufwertung der Kieze, das will die Politik«, sagt Joachim. Aber das verschärfe die Polarisierung. Wer im Townhouse wohne, der gründe als Nächstes eine Privatschule. »Alle anderen fallen durchs Rost.« Bald schon würden die Mieten unerschwinglich.

    Prenzlauer Berg haben sie abgegrast, ein paar Straßenzüge weiter nördlich Richtung Kreuzberg sind sie auch in Neukölln schon eingefallen. Dort bevölkern sie nun teure Lofts und trinken in neuen Bars ihre Espressi macchiati. Jetzt äugt die verhasste Mittelschicht nach dem Kiez am Rand des Tempelhofer Flugfelds, das nach Jahrzehnten erstmals ruhig und verwunschen mitten in der Stadt auf seine Zukunft wartet - ein riesiges Refugium, das einmal eine grüne Lunge werden soll. Die ersten Baugruppen sollen dort schon gesichtet worden sein. Die Kiezaktivisten im »Syndikat« sind sich einig, dass die Uhr tickt.

    »Bisher hilft noch der schlechte Ruf von Neukölln«, meint Joachim. Aber auf Dauer geht es wohl nicht ohne Widerstand. Wärmedämmung, Modernisierung? Keinesfalls akzeptieren. Verzögern, prozessieren, aussitzen. Die ersten der jungen Leute unter der dicken Rauchschwade erkundigen sich nun, wie viel eigentlich eine Rechtsschutzversicherung kostet. Andere schmieden bereits eigene Pläne. Kiezspaziergänge müsste man machen und ein Kiezfrühstück auf der Schillerpromenade, meint Mario vom Kiezladen »Lunte«. Steine schmeißen könnte vielleicht helfen, sagt ein anderer, was wieder andere aber doof finden. Klar ist nur, dass »das Kapital« draußen bleiben soll und die

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