Heimkehr in den Palast der Liebe
hinein. Das war ihre Bank.
"Barakullah! Was ist das?" zischte Farida. Sie hielt eine Visitenkarte mit Goldschnitt in der Hand. "Seine Exzellenz Sharif Azad al Dauleh …" In ihrem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Verblüffung und Entsetzen. "Du hast einen bagestanischen Diplomaten bestohlen?" flüsterte sie, denn die Wände waren sehr dünn. "Was ist das für ein Mann? Wie bist du ihm so nah gekommen?"
Hani schöpfte mit der Hand Wasser aus dem Eimer, um den blauen Beißring abzuspülen. Dann bespritzte er sich Gesicht und Hals mit seinen kleinen, knochigen Händen. Den Beißring gab er dem Baby.
"Es passierte auf der Straße. Sein Wagen folgte einem Lastwagen, den ich als Taxi benutzte. Um ein Haar hätte er mich überfahren, aber er hat sehr gute Reflexe."
Erschrocken blickte Farida auf. "Bist du verletzt?"
Der Junge zuckte nur mit den Achseln.
"Erzähl mir, was passiert ist."
Farida stand auf und ging in dem engen Zimmer auf und ab, während sie Hanis Bericht lauschte. Das Baby hatte sie sich über die Schulter gelegt. Es kaute auf dem Beißring und beobachtete Hani mit großen, glänzenden Augen.
"Mein Sohn, er hat dein Leben gerettet und dich davor bewahrt, verprügelt zu werden, und du stiehlst ihm seine Brieftasche?" sagte Farida, als Hani die Schilderung seines Abenteuers beendet hatte.
Der Junge schwieg.
"Hani, aber überleg doch – das muss Sultan Ashrafs Gesandter sein."
Seit Tagen schon herrschte große Aufregung im Lager, denn einem Gerücht zufolge wurde ein hoher Vertreter der Regierung Bagestans erwartet. Den Grund für sein Kommen kannte niemand, aber die bagestanischen Flüchtlinge innerhalb des Lagers hofften sehr darauf, dass er gekommen war, um sie zu repatriieren, nun, da der neue Sultan auf dem Thron saß. Selbst Flüchtlinge aus anderen von Bürgerkriegen heimgesuchten Staaten glaubten, dass ihre Rettung kurz bevorstand.
"Er war allein, er hatte nicht einmal einen Chauffeur. Ein Diplomat, der ein Flüchtlingslager besucht, tritt nicht ohne Assistenten und Presse auf", erklärte Hani altklug.
"Vielleicht folgen sie ja in anderen Autos. Warum sonst sollte so ein Mann an einem Ort wie diesem sein? Ya Allah! Der Tafelgefährte des Sultans! Wenn er nur nicht merkt, dass du ihm die Brieftasche gestohlen hast, Hani! Meinst du, er wird dich erkennen?"
In diesem Augenblick klopfte es laut an der Tür.
Die junge Mutter zuckte zusammen und drückte mit zitternden Händen die Brieftasche an sich. Das Baby öffnete den Mund, ließ den Beißring fallen und begann zu weinen.
"Was sollen wir tun?" zischte Farida.
"Gib sie mir." Hani griff nach der Brieftasche und ließ sie unter seinem weiten T-Shirt verschwinden.
"Hani!" flüsterte Farida, doch da klopfte es wieder. Mit vor Angst geweiteten Augen öffnete Farida die Tür.
Es war einer der "Wachleute", Männer, die selbst Flüchtlinge waren und die man mit einem Abzeichen versehen und mit der Aufgabe betraut hatte, als Verbindungsleute zwischen Lagerverwaltung und Lagerinsassen zu fungieren. Was die Lagerverwaltung nicht merkte oder nicht merken wollte, war die Tatsache, dass mit diesen Abzeichen einer skrupellosen Lagermafia Rückendeckung gegeben wurde.
Der Mann sah Hani missmutig an.
"Du warst heute in der Stadt", erklärte er in dem merkwürdigen Sprachenmischmasch der Lagerinsassen. Sein Blick fiel auf das Bett, wo die armselige Ausbeute von Hanis Expedition lag. "Lass mal sehen!"
Hani sprang ihn an, packte seinen Arm und versuchte, seine Schätze zu verteidigen. Aber der Mann war groß und stark. Er warf den Jungen einfach zur Seite, so dass er gegen den Waschtisch fiel. Einen Moment lang blieb er dort liegen und hielt sich den schmerzenden Knöchel.
Er verfluchte den Wachmann mit der erbitterten Verachtung des Schwächeren. "Ein Babyschnuller!" rief er hämisch. "Willst du daran saugen? Vielleicht wachsen dir ja dann deine verfaulten Zähne nach!"
Blitzschnell war er wieder auf den Beinen. Er sprang dem Wachmann auf den Rücken, als dieser sich über das Bett beugte. Mit seiner kleinen Faust traf er den Mann am Ohr. Da wurde sein Handgelenk von einer großen, kräftigen Hand gepackt und brutal verdreht. Der Junge schrie auf und gab sich geschlagen. Wie ein Stück Abfall wurde er einfach fallen gelassen.
Der Mann hatte das Armband entdeckt. Er griff danach und gleichzeitig nach zwei Schokoriegeln.
"Mein Anteil", sagte er grimmig. Stolz hielt er das Armband hoch. "Ich weiß schon, wem das gefallen wird." Sein Blick war
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