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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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sich.
    »Das sind die Notlügen, die Gott gutheißt. Schwiegermütter sind in diesem Land ja nie besonders angesehen gewesen«, sagte Fritz. »Ich habe mal in einem botanischen Garten einen Riesenkaktus gesehen. Der sah aus wie ein Hocker, hatte hundsgemeine Stacheln und wurde als Schwiegermuttersessel bezeichnet. Das hat mich richtig abgestoßen. Warte mal einen Moment. Dein Schwiegersohn hat schon wieder einen Einfall.«
    »Mein Sohn«, lächelte Betsy.
    Fritz verhandelte, was sie noch mehr verblüffte als die Vertreibung der jungen Frau von ihrem Stuhl, ebenso energisch und im herrischen Ton mit dem Beamten, der für den Sonderschalter zuständig war. Der Mann hatte eine Feldflasche vor sich stehen und einen zusammenklappbaren Metallbecher; er war dabei, mit einer großen Büroschere Löcher in einen breiten braunen Gürtel zu stanzen. Zu Betsys Erstaunen stellte sich Fritz dem Beamten als »Landgerichtsrat Dr. Feuereisen zur besonderen Verwendung« vor. Er erklärte, immer noch in der schnarrenden Diktion eines Vorgesetzten, der Widerspruch wittert, seine Mutter wäre »körperlich außerstande, sich der in Ihrem Amt üblichen Verweildauer zu unterziehen, ohne körperlichen Schaden zu nehmen. Seit dem Konzentrationslager hat sie schwerste Angstattacken mit nachhaltigen Folgen, wenn sie sich in ihr unbekannten, geschlossenen Räumen aufzuhalten hat.«
    Er schämte sich, als er das sagte, auch weil er das Wort Konzentrationslager überdeutlich betont hatte, denn er verachtete Leute, die aus ihrem Schicksal Kapital zu schlagen versuchten. Besorgt schaute er zu Betsy und hoffte, sie hätte ihn nicht gehört; ihm war klar, dass sie ebenso dachte wie er. Sie sprach nie mit einem Fremden über Theresienstadt. Wenn die Frauen in den Schlangen vor den Bäckereien und beim Metzger von ihrem Leid im Krieg erzählten, von den Bombennächten, den gefallenen und vermissten Ehemännern und den Flüchtlingstrecks aus dem Osten, blieb sie stumm. Den Ausweis der Verfolgten, der ihr Vorteile auf Ämtern und in den Warteschlagen hätte bringen können, benutzte sie nie.
    Der Beamte legte Schere und Gürtel aus der Hand. Er schaute sich um wie zuvor die Frau, die Fritz um ihren Sitzplatz gebracht hatte, er nagte an der Unterlippe, machte eine Bewegung in Richtung einer offen stehenden Tür und rief nach einem Herrn Kammer, der sich allerdings nicht zeigte. Schließlich glättete er mit beiden Händen sein Haar und stand auf. Im zeitüblich devoten Ton der Schuldbewussten sicherte der Erschrockene Fritz zu: »Selbstverständlich, Herr Rat. Ich kümmere mich persönlich um die Angelegenheit. Persönlich.« Er vergrub die Schere unter einem umfangreichen Aktenstück und ging mit großen Schritten, aber gesenktem Kopf auf das Zimmer zu, aus dem Herr Kammer nicht auf seinen Ruf reagiert hatte. Nach nur drei Minuten kehrte er zu seinem Schalter zurück – nun mit erhobenem Kopf, lächelnd, zufrieden und mit einem in hellgrünes Packpapier gewickelten Paket. Es war so groß, dass er beide Hände brauchte, um es zu halten.
    »Unmögliches wird sofort erledigt, Herr Rat«, sagte der Beamte. Aus dem Lächeln wurde das knappe Triumphlachen der Sieger. »Wunder dauern etwas länger. Doch bei Kohlmanns Karl dauern sie nie lange. Der hat eine Nase für das Machbare.«
    »Betsy«, rief Fritz. Seine Stimme überschlug sich wie die eines jungen Mädchens im Kreis von kichernden Freundinnen. Schweiß tropfte von seiner Stirn, ihm wurde schwindlig, die Hände suchten Halt und fanden keinen, doch seine Stimme war wieder fest. Abermals rief er nach Betsy – diesmal so laut, dass die Wände, die um ihn kreisten, wie die Mauern von Jericho einzustürzen drohten. Er duckte sich, machte die Augen zu und wartete auf die Trompeten, aber als die erste erklang, wurde ihm bewusst, dass es die Trommelschläge seines Herzens waren, die er hörte.
    Die Briefmarken auf dem Paket leuchteten wie Fackeln in der Nacht – grellbunte Marken waren es, die er noch nie gesehen hatte, obwohl er als Junge Briefmarken aus Afrika gesammelt hatte. Sie tanzten auf dem grünen Packpapier, machten Salti und sprangen ihn an wie die nackten Buschkrieger den Feind in den Abenteuerbüchern seiner Kindheit. »Südafrika«, wollte Fritz Betsy zurufen, doch er konnte das Wort nicht aussprechen. Es steckte in seiner Kehle wie ein mit Nadeln gespickter Kloß; seine Knie knickten ein, die Augen füllten sich mit Tränen. »Betsy«, brüllte er und fasste sich an den Hals.
    Er sah, dass sie

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