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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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bald ebenso wie die leiblichen Kinder geliebt, war im siebten Monat schwanger. Nach Tagen ohne Ruhe und einer durchwachten Nacht, trotz Anspannung und Todesangst und trotz des Versprechens, das sie ihrem Mann gegeben hatte, war sie noch immer entschlossen zu dem lebensbedrohenden Versuch, wenigstens ein Leben zu retten, dem der Tod bestimmt war.
    Anna konnte die Frau auf dem dunkelroten Kissen und den weißen Spitz, der nun doch mit ihr auf der Fensterbank hockte, mit einem Mal so gut sehen, als würden die beiden auf einer Bühne stehen und von Scheinwerfern angestrahlt werden. Anna hatte die Frau bereits am Dienstag und dann wieder am Freitag am Fenster entdeckt, einmal am frühen Morgen, Freitag spätnachmittags. Anna vermutete, die lauernde Frau würde ebenso wie sie darauf warten, die Juden auf dem Weg zur Großmarkthalle zu sehen. Der Gedanke war ihr schrecklich, die sensationslüsterne Gafferin, deren Reaktionen ja nicht berechenbar waren, könnte sie in dem Moment entdecken, in dem sie zum Handeln gezwungen war. Ihr schienen die langen Stunden des Wartens vertan, die Hoffnung, die sie angetrieben hatte, kindisch und unloyal gegenüber ihrem Mann.
    Dann, im schrecklichen Moment der Reue und tiefsten Verzweiflung, wurde ihr bewusst, dass die ersten Unglückseligen an der Großmarkthalle angekommen waren. Ihr Herz raste, sie hatte das Gefühl, ihr schwerer Körper würde sich auflösen, und für einen Moment, den sie ihrer Lebtag nicht vergessen sollte, war sie sich sicher, sie würde umfallen, bewusstlos am Boden liegen bleiben und die SA-Leute würden sie wie einen Lumpensack fortschleifen und in einen der Vorgärten werfen. Für den Bruchteil einer Sekunde erlebte sie ihren eigenen Tod. Sie nahm sich vor, nicht zu schreien, ganz ruhig zu atmen und ihrem Kind das Sterben leicht zu machen; sie hielt sich beide Ohren fest zu, um bei Sinnen zu bleiben, doch die Angst in ihr schrie so laut, dass der Himmel schwarz wurde und die Wolken herabstürzten.
    Die Verzweifelte hörte Georg Maria Griesinger, den seine Mutter Schorschi nannte und für den sie das Frühstücksbrot schmierte, brüllen und fluchen. Er bedrohte jene, für die Anna bereit war, durch die Hölle zu gehen, mit dem Tod. Und doch war es Griesingers Feuerstimme, die Anna zurückholte aus der Welt, in der Kinder in den Tod geführt wurden und Mord mit Orden belohnt wurde. Die schreckliche Stimme löschte bei Anna jedes Bedürfnis aus, wegzulaufen und in ein Loch am Ende der Welt zu kriechen. Sie spürte, dass sie Hände hatte, die greifen konnten, und den Mut derer, die nicht fragen, ob Helfen Sinn macht; sie stand da, ohne sich zu rühren, sie verdrängte, dass sie schwanger war und dass sie dabei war, ihr Leben und das ihres Kindes für das Leben eines anderen Kindes zu riskieren – ein Kind, das sie zur Welt hatte kommen sehen und das sie im Arm gehalten hatte, ein Kind, mit dem sie gelacht hatte und das nicht mehr weinte.
    Anna hatte am Sonntag vor einer Woche von ihrem Mann Hans erfahren, dass abermals eine Deportation von Frankfurter Juden anstand. »Mehr hat Karl nicht gewusst«, hatte Hans gesagt, »kein genaues Datum und schon gar nicht, wer auf der Liste steht. Man rechnet damit, dass es die Alten und die Kinder sind, die sie diesmal wegschaffen. Ich wollt’s dir erst gar nicht erzählen, aber ich kann es nicht für mich behalten. Wenn ich nur an Vickys Kinder denke und mit wie viel Würde der alte Sternberg alle Demütigungen ertragen hat und dass von seiner Frau noch nicht das erste Wort der Klage gekommen ist, möchte ich mich auf der Stelle aufhängen. Was nutzt mir meine ganze verdammte Anständigkeit? Vor allem wem nutzt es, dass ich mich nicht abfinden kann mit dem, was geschieht?«
    Anna hatte umgehend in die Bockenheimer Landstraße 73 gehen wollen, wo die Sternbergs und Victoria mit den beiden Kindern lebten, seit sie das eigene Haus in der Rothschildallee hatten verlassen müssen. Seit über zwei Jahren hungerten und froren sie in der primitiven Unterkunft, die Hoffnung auf Davonkommen hatten sie aufgegeben. Hans und Anna diskutierten die halbe Nacht, ob Anna zum vielleicht letzten Mal den langen Weg zu den Sternbergs wagen sollte.
    »Die Gestapo lässt die Judenhäuser nicht aus den Augen«, hatte Hans gewarnt. Schließlich war es ihm doch gelungen, seine schwangere Frau zu überreden, auf den Abschied von ihrer Familie zu verzichten.
    »Wenn die Sternbergs wirklich auf der Liste zur Deportation stehen, dann erspar deinem Vater

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