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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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aber er sammelte seine Gedanken. Er schlief nicht mehr, er träumte nicht mehr, er lag auch in keinem väterlichen Zelte, sondern in einer finsteren Felsenhöhle. Aber sein Nacken hatte eine weiche, warme haarige Stütze gefunden, die sich ebensowenig rührte wie er selbst. Er begann, den Charakter dieser überraschenden und geheimnisvollen Stütze in Gedanken abzuschätzen. Ein lebender Körper war das, ohne Zweifel. Ein wohlgerundeter Körper mit weicher, ziemlich langer Behaarung. Stein mit Hörnern hatte keinen Rock an; seine Hautnerven spürten alles deutlich. Die Wärme war sogar recht angenehm, vorausgesetzt daß die haarige Stütze sich nicht plötzlich zu rühren begann. Sehr vorsichtig, ohne Nacken und Schultern zu bewegen, zog der Indianer das Messer aus der Scheide. So wartete er und überlegte, was während seines Schlafes vorgegangen sein konnte, ohne daß er erwacht war. Sein Oberkörper war zur Seite gesunken, und diese haarige Masse hatte sich vielleicht auch bewegt. Auf diese Weise waren sie zusammengekommen, er und der unbekannte Körper.
    Er hätte vor dem Einschlafen den Ausgang des Höhlenraumes, der weiter zum Innern des Berges führte, noch gründlicher absuchen müssen. Jetzt war es jedenfalls so weit, daß er Rücken an Rücken mit einem riesigen Bären lag, der hier seinen Winterschlaf begonnen haben mochte.
    Jeden weißen Mann hätte in dieser Lage in Gedanken an die Knochen und an den Schädel, die auf dem Höhlenboden lagen, das Entsetzen gepackt. Stein mit Hörnern aber fühlte sich auf einmal geborgen. Das Fell, das er an seinem Nacken spürte, war ganz anders als alle Bärenfelle, über die er je bei erlegten Tieren mit der Hand gestrichen hatte. Es war weicher, langhaariger. Der Bär, an dem der Indianer mit dem Rücken lehnte, mußte unvorstellbar groß sein.
    Stein mit Hörnern wußte sich bei der Großen Bärin.
    Er rührte sich gar nicht, war auch innerlich nicht mehr unruhig. Wie im Halbschlummer oder Traum verbrachte er noch mehrere Stunden. Das Messer ließ er allerdings nicht aus der Hand.
    Auf einmal bewegte es sich hinter ihm.
    Blitzschnell sprang der Indianer von dem Bären weg durch den Höhlenraum und verkroch sich in dem engen brüchigen Gang. Dorthin konnte ihm das massige Tier nicht folgen, das war sicher.
    Es schien aber auch gar nicht die Absicht zu haben.
    Mit einem schauerlich dröhnenden Brummen machte es sein Erwachen kund und tappte dann in das Innere des Berges hinein. Stein mit Hörnern hörte das Schlürfen der Bärentatzen. Er hörte auch einen gellenden Schrei, den Angstschrei einer starken Mannesstimme. Noch einmal dröhnte das Gebrumm markerschütternd, dann trat in der vollständigen Finsternis des Berges auch wieder vollständige Stille ein.
    Stein mit Hörnern zog sich so rasch wie möglich durch den brüchigen Gang zurück, um den Ausgang ins Freie zu gewinnen. In der stickigen Luft brach ihm Schweiß aus, und keuchend gelangte er endlich zu dem Block, der den geheimen Höhleneingang am Berggipfel verschloß. Er hob den Stein an, kletterte hinaus und atmete tief die kalte frische Winterluft. Aber er ließ sich keine Zeit zu rasten. In der Höhle war ein Mann gewesen, der vor dem Bären geflohen war. Wenn das Tier ihm nicht den Garaus machte, verließ der Flüchtende die Höhle wahrscheinlich durch die Öffnung in der Felswand am Südhang. Das war die nächst erreichbare Fluchtmöglichkeit, und dort wollte der Indianer den Eindringling abfangen. Er hetzte den Waldhang hinunter.
    Es wurde Morgen. Das mußte schon der zweite Morgen sein seit jenem, an dem Stein mit Hörnern in die Höhle eingedrungen war. Die Nebel, die zwischen den Bäumen webten, wurden lichtgrau, der Schnee glitzerte auf.
    Der Indianer erreichte die Felswand, in deren Mitte einer der Höhlenzugänge als schwarzes Loch gähnte. Er legte sich hin und spähte hinunter. Dabei erkannte er sofort, daß er zu spät kam; das Kriechen durch den engen Höhlengang hatte ihn zu lange aufgehalten. Unterhalb der Felswand waren frische tiefe Fußeindrücke zu sehen. Der Flüchtende muß über die Wand auf den Waldboden hinabgesprungen sein. Die Abdrücke stammten von festen Sohlen und Absätzen, von den Stiefeln eines Weißen, von einem sehr großen Fuß. Sie führten waldabwärts. Stein mit Hörnern sprang auf; er wollte diese Fährte sofort aufnehmen. Es war nicht schwer, ihr zu folgen, und es sollte ihm auch nicht schwerfallen, diesen Mann noch einzuholen. Als er aufsprang, schaute er mit einem

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