Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
Vom Netzwerk:
in ihrem wilden Treiben zu übertreffen suchen, so als seien sie in ihrem Körper ganz und gar außer sich, wie es früher nur Hysterikerinnen und andere Prostituierte mit ähnlicher Hingabe vorgespiegelt haben, um des Arztes liebstes Kind zu sein, sind einer der vielen Gründe dafür, dass Referenten stets barfuß arbeiten.
    In größtmöglicher Ruhe kremple ich mir die weißleinenen Hosenbeine hoch, während der Professor freundschaftlich mit der Seife plaudert, denn ich will ihm Zeit geben, sich darauf einzustellen, dass ich ihm jetzt gleich kommentarlos den Hahn zudrehen werde. Freilich wartet er schon sehnsüchtig auf diesen Moment, um endlich die erste wüste Schimpftirade des Tages zum Besten geben zu können. Aber aus keinem mir ersichtlichen Grund lasse ich ihn heute länger zappeln und also das Wasser laufen, räuspere mich und teste mein angenehm sonores Morgenorgan:
    »So, Herr Professor, jetzt wollen wir mal langsam zum Ende kommen hier.«
    »Nein, wollen wir nicht, wollen wir nicht, nicht, nicht, wollen wir ganz und gar nicht. Achte gar nicht auf das verschlagene Aas, kleine Seife! Sprich mir nach: Die Wassernot lehrt zaubern und beten. Kalapanana, Kolpi, Kolpi, gss, gss … «
    »Na, von Not kann hier wohl keine Rede sein, Herr Professor.«
    »Oh ja, wie recht Sie haben, elender Hurensohn! Von Not kann hier niemals die Rede sein, nie im Leben die Rede sein, weiß Gott nicht! Die Not, die alte Hippe, will nicht von sich reden machen, ist nicht in Sicht, säuft sich wieder mal einen und sagt, es wär grad nicht ihre Zeit, na bitte! Wir ersaufen hier in dem Dreckswasser, aber die Not kann kein Land gewinnen, die feine Dame, kein Land, nein, heut nicht. Sie rufen außerhalb der regulären Sprechstunde an, Sie Sausack, Sie gelber! Land unter, aber keine Not am Mann, nix mehr dran am Hampelmann!«
    In demselben Maße, in dem sein krächziges Geschimpfe lauter wird, werden seine Bewegungen ruhiger. Patient sammelt sich, verlagert mit beschwingten Schultern wie eine Opernsängerin das Gewicht von einer Körperseite auf die andere hin und her, um die atemgestützte hohe Brust noch weiter zu heben und zu öffnen und so alle Kraft in den einen großen Schrei zu entladen in genau dem Moment, in dem ich ihm das Wasser abdrehen werde. Der Moment, der heute nicht kommt, und ich weiß ebenso wenig wie Patient, warum das so ist, aber unwillkürlich lasse ich die Sache laufen, bis Patient kerzengerade stillsteht. Er lauscht verwundert mit schräggelegtem Kopf in meine Richtung, aber da Referent immer noch kein Funktionszeichen von sich gibt, hält Patient nun beide Hände als schrägen Fächer direkt unter den vollaufgedrehten Hahn, sodass ihm und Referent, der mit auf dem Rücken gefalteten Händen dicht neben ihm steht, das Wasser möglichst effektvoll ins Gesicht spritzt. Das Wasser perlt an mir ab wie Wasser, ich schließe nicht für einen Lidschlag die Augen, spucke nur ab und zu eine kleine Fontäne aus. Was für die Kamera in der Zimmerecke links über uns aussieht wie eine tadellose Übung in Stoa, ist das genaue Gegenteil, nämlich ein Totalausfall irgendeines Areals in meinem Stortex, orbitofrontal höchstwahrscheinlich. Denn auf einmal hasse ich Patienten. Hasse Patienten von ganzem Herzen, beide Kammern glutgeflutet, kurz vorm Absaufen. Das ist mir noch nie passiert, und es ist so erschreckend und wundervoll zugleich, dass ich es gar nicht fassen kann. Was für ein unglaublicher Rückfall! Ja, es ist fast wie damals, als wir das Herz noch so weit oben im Körper trugen, dass man es deutlich gegen die Rippen pulsieren sehen konnte. Ich war sicher, dass so etwas jedem, ausnahmslos jedem hier zustoßen könnte, aber nicht mir, oder jedenfalls mir zuletzt, zuallerletzt, erst dann, wenn alles zu Ende wäre. Aber das denken freilich alle Ärzte hier.
    Der Professor hat jetzt zu weinen angefangen, und ich weiß, wie sehr er unter dem laufenden Wasser, unter seinem Wahn zu ertrinken leidet und mehr noch darunter, sich am Wasser zu verunreinigen, aber ich lasse mich nicht erhärten, die Lava hat von meinem Herzen aus schon meinen halben Unterleib zerkocht, und niemals mehr will ich gerinnen, zerrinnen sei mein Dienst, zerrinnen all mein Gewinst.
    »Hallo, Herr Doktor, Herr Doktor, hallo, helfen Sie mir doch! Warum drehen Sie nicht endlich den Hahn zu, es kommt doch jetzt wieder das verdreckte heiße Blut raus, sehen Sie das denn nicht, helfen Sie mir doch, ich ertrinke ja in dem verfluchten Blutwasser, Sie böse Flex

Weitere Kostenlose Bücher