Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
…, für … kei-… «
»Jaja.«
»Ich … kann … nicht … mehr … Für die Liebe Gottes, stellen … Sie … das Band …«
Hastig stelle ich das Band ab, stütze den Professor unter der Schulter beim Auslaufen, was, wie ich sogleich beschämt feststelle, eher eine symbolische als hilfreiche Geste ist, was der Professor freilich auch bemerkt, denn er murmelt spöttisch eine heilige Gebärde, heilig, heilig! , und als er und das Band endlich stillstehen, weiche ich dem unter seinen gehobenen Augenbrauen starren Blick aus, lege ihm das Handtuch um den Nacken und reiche ihm die Opium-Rhabarber-Flasche, die er schwer schluckend in wenigen Saugzügen leert, die freie Hand in die Hüfte gestemmt. Ich kann seine Augen nicht länger meiden, aber jetzt lächelt er mich plötzlich freundlich an und seine belehrende Stimme schwimmt ebenso freundlich zu mir hinüber:
»Nur Tote stützt man unter der Schulter, merken Sie sich das, Herr Doktor, nur die Toten, von Christus über Judy Garland bis zu Hoher Wolf, immer nur die Toten …«
»Ach je, was Sie heut schon wieder für einen Unsinn zusammenreden! Den Kranken und Schwachen greift man unter …«
»Oh nein, lassen Sie sich von den alten Schinken nicht täuschen, nur die Toten fasst man so an, erst wenn’s nichts mehr bringt, hat man einem Menschen unter die Arme zu greifen. Daran können Sie’s erkennen, dass es mit einem vorbei ist, meine ich. Sie müssen genauer hinsehen, Sie alte ausgelaufene Rotweinflasche, Sie Blindschleiche …«
»Ja, kommen Sie, wir wollen Sie da runterschnallen. Was meinen Sie, sollen wir nicht den Bruch kurz lasern lassen gehen, dann hat die liebe Seele Ruh, hm? Wenn Sie nicht zu Dr. Bulgenow wollen, können wir’s auch bei Dr. Tulp machen lassen, was meinen Sie?«
»Nein, niemals, ich brauche doch meinen Bruch und mein kleiner Bruch braucht mich, wir haben doch nur noch uns.«
»Na schön, kann ich wenigstens eine Sprühnaht reinmachen?«
»Niemals! In meinem Bruch bin ich in meinem Element, da kann ich das Gras wachsen hören, da macht mir keiner was vor!«
»Ich frag Sie jetzt zum letzten Mal im Guten, Professor, und dann werd ich ungemütlich: Wollen wir es wenigstens provisorisch sprayen?«
»Ich habe wohl keine Wahl?«
»Nein, haben Sie nicht.«
»Gut, dann wollen wir’s so machen, Herr Doktor.«
Patient nickt sehr müde, aber immer noch lächelnd vor sich hin, während Referent ihm aus den Laufschlingen hilft und ihn vom Band hebt, wobei ich wie jedes Mal Angst habe, mir selbst einen Bruch zu heben, denn der Professor ist zwar kleiner, aber deutlich schwerer als ich.
Zurück auf dem unbeweglichen Grund sackt der Professor leicht in die Knie, blickt sich träge im riesigen Saal um, der nun leer ist bis auf die beiden üblichen Übererfüller, die keuchend ihr nimmermüdes Band mit Füßen treten, um sich vor dem Frühstück zu drücken. Patient blickt gequält zur Glasdecke, lässt den Kopf dann schwer wieder sacken und flucht leise:
»Wenn doch wenigstens dieses gottverdammte Licht nicht wär!«
Unwillkürlich nicke ich, denn die dichte himmelblaue Beleuchtung, die den Saal gleichmäßig vom Boden bis zur Decke flutet, lässt einen die Landschaft, auf die man beim Laufen durch die Glaswände schaut, in falschem bläulichem Licht erscheinen und sorgt für das Gefühl, sich in einem Aquarium zu befinden, von dem man nicht genau weiß, ob das Wasser schon eingefüllt ist oder nicht, ein Gefühl, das aber laut statistischer Erhebung der Klinikleitung von sechsundachtzig Prozent der Patienten als angenehm oder zumindest als therapeutisch hilfreich empfunden wird.
Der Professor schüttelt den hängenden Kopf, seine Züge verwirren sich langsam wieder, er murmelt sein verwundertes Pamplona! Pamplona! , und ich führe ihn sanft aus dem Saal. Am Ende angekommen, die Schiebetüren haben sich bereits lautlos geöffnet, dreht er sich, plötzlich zornig, noch einmal um und ruft zu den beiden Läufern hinüber: »Alle Bänder stehen still, wenn dein schwaches Herz es will!« Doch die beiden winken lässig mit der Hand ab, ohne sich zu ihm umzudrehen oder auch nur die Pflugschaufel ihrer Armbewegung zu unterbrechen. Sie können diese alten Sprüche ebenso wenig mehr hören wie Referent.
5.
Im Frühstückssaal jammert Patient unablässig vor sich hin, klagt darüber, dass die Sprühnaht in seiner Leiste, mit der Referent nach dem Duschen notdürftig den Bruch gekittet hat, ihn in seiner wissenschaftlichen Arbeit
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