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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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mir mit pathetisch ausgestrecktem Arm hin. »Schreiben Sie: Eine Ausnahme gibt es in dieser Ordnung: Wenn die Schlange im Zeichen des Skorpion geboren wird, kann sie sich selbst um den Finger wickeln und …«
    »Nein,« ich nehme ihm mein Schreibgerät aus der Hand, lege es mit leichtem Unbehagen zurück auf den Schreibtisch und zerre Patient am Handgelenk zurück ins Bad. »Erst wird gelaufen! Also ziehen Sie sich jetzt endlich an.«
    »Sie haben mir gar nichts zu sagen, Sie Natter, Sie Nichts von einem Arzt! Sie Hochstapler, ach was, Sie sind ja noch nicht mal ein Hochstapler, ein mieser kleiner Statthalter eines Hochstaplers sind Sie. Sie könnten nicht mal meiner Scheiße das Wasser reichen, Sie stehen für gar nichts ein …«
    »Ja, Professor«, meine Stimme ist jetzt ein sanfter Sommerhauch. »Möchten Sie lieber zurück ins Bett als aufs Laufband?«
    Endlich gibt Patient klein bei, einen Moment länger, und er hätte mich klein gehabt. Doch jetzt nimmt er nicht nur widerstandslos, sondern gut gelaunt und freundlich plappernd seine Unterwäsche und den dunkelblauen Trainingsanzug von mir entgegen und zieht beides ganz ungewöhnlich schnell an.
    Auf dem Weg in den Laufsaal weiterhin gut und ruhig, sodass er sich bei Referenten einhängen darf, erklärt klug und geordnet, warum die Alten den Asklepios mit einem Stab, um den sich eine Schlange windet, dargestellt haben, obwohl er doch mitsamt seinen beiden Söhnen von der Schlange erwürgt wurde. Patient und Referent sind, im himmelblau erleuchteten Laufsaal angekommen, wie immer die letzten, einige haben die morgendliche Laufkur schon beendet und begeben sich mit ihren Referenten oder Pflegern schwatzend zurück in ihre Waschräume, um eine erneute Dusche und gegebenenfalls den wöchentlichen GV zu nehmen. Weil Patient wegen Leistenbruch in spezieller Halterung auf dem Laufband fixiert wird, was zusätzliche fünf Minuten verbraucht, ist der Saal zu Dreivierteln leer, als Patient anfängt, langsam auf unterster, steigungsloser Stufe loszutraben. Nach wie vor gut und nett, läuft wie immer freihändig, um besser dozieren zu können, und während ich neben dem Laufband stehend auf dem Monitor seinen Lebensstrom kontrolliere, höre ich ihm mit halbem Ohr zu.
    »… wir früher vom MD haben ja immer gesagt: Teste den Westen! Und das haben wir auch gemacht, und zwar gründlich. Was für Felsen, was für Klippen waren das! Und dann Sandwüste, nur von Ginster umstanden. Und wir wussten immer, wie weit der Weg auch war, den man schon gegangen ist, wie viel Sand man auch in Stein verwandelt hat, dieser Weg war jederzeit umkehrbar – und dann hieß es plötzlich Ende der Reise, alles wieder auf Anfang, oder noch schlimmer, noch hinter den Anfang zurück. Und dann hieß es auf einmal: Endstation Oscar Perez. Denn tertium non datur, so ist das nun mal.«
    »Hm.«
    »Herr Doktor, die Sache ist faul, sie stinkt zur Hallendecke, glauben Sie mir. Hab ich nicht schon genug?«
    »Nein, Sie haben noch nicht mal zwei Kilometer geschafft. Welche Sache?«
    »Na, dass Ihr Eigenbericht nun ansteht und dass ich gleichzeitig Ihren Dienstplan für die nächsten Monate besser kenne als Sie. Das ist nicht gut, gar nicht gut, für keinen von uns beiden.«
    »Hm.«
    »Eine neue Patientin, na schön, das wär ja nichts Besonderes, aber ein solcher Fall, das ist nicht gut, gar nicht gut, für keinen von …«
    »Wie bitte?« Referent nicht in der Lage, gänzlich ruhig zu bleiben. »Was für eine neue Patientin?«
    Patient setzt zur Antwort an, hebt dazu wirkungssüchtig linken Zeigefinger, während er den Mund öffnet, schließt ihn dann aber abrupt wieder, stellt eigenmächtig das Laufband ab, Theater, das Referent keineswegs durchgehen lassen dürfte, aber statt einzugreifen, wartet er geduldig darauf, dass Patient mit dem Band langsam ausläuft und dann erst in verschwörerischem Ton flüstert:
    »Eine Ambulante.«
    »Eine was?«
    »Eine Ambulante! Eine Spaziergängerin, sie läuft nicht, sie spaziert, kommt morgens und geht abends wieder.«
    »Ach, Unsinn! So was gibt es hier doch schon lange nicht mehr!«
    Ich bin erleichtert und stelle das Band wieder an, diesmal eine Stufe zu hoch, aber obgleich Patient nur stolpernd seiner Beinmaschine hinterherkommt, spricht er atemlos weiter:
    »Eine Ambulante, Sie werden ja sehen! Und Sie wissen ja: Eine Frau mit zwei Männern verliert ihre Seele. Aber eine Frau mit zwei Häusern verliert den Verstand. Und das ist nicht gut, gar … nicht … gut

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