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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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und hörbar wie eine unendliche Variation ohne Thema, der immergrüne Trug einer nie gehörten und doch altvertrauten Melodie. Sie ist es, kein Zweifel mehr, mein elendes Echo.
    Aber Referent kann sich an den Fakten festhalten und so zunächst wieder einmal voll aufrichtiger Bewunderung für die Pioniere unseres Hauses konstatieren, dass die Bilder des Teilchenscanners in ihrer Klarheit für unsere diagnostische Arbeit von schier unschätzbarem Wert sind, lassen sich mit ihnen doch die meisten Unschärfen der Anamnese, die vor allem dem unvermeidbaren Mangel an Präzision in den Patientenangaben, aber auch in den wortwörtlichen Hirnstromübersetzungen des Gedankenlesers geschuldet sind, nahezu vollständig kompensieren.
    In jedem Fall hat ein solches Bild keine Ähnlichkeit mehr mit dem Innenporträt ihres Brustkorbs, das sie mir vor dreiundzwanzig Jahren in einer scheinironischen Anwandlung von naiv romantischer Morbidität schenkte und mit dem alles begann und sich unser Wackelkontakt in ein stabiles Desaster verwandelte. Schmeichelhafter als im Kabinett der altehrwürdig diskreten Strahlen konnte man sich niemals ablichten lassen, weil das Gebein und seine Härte, all seine unfassbaren, da in ihrer Banalität nicht fassbaren Härten in ihrer angeberisch grellen Ausleuchtung sogleich unsichtbar wurden, zu bloßem Dekor für das Negligé der milchgrauen Andeutungslinien des kokett verblasenen Fleischs, zu zart, zu schüchtern, zu verlogen, um sich ganz zu zeigen. Und obwohl ich damals mit der bornierten Rührung des fünf Jahre Älteren und damit mindestens ein ganzes Leben Weiseren über diese, wie sie es nannte, beschränkte Nostalgie-Edition ihrer selbst gelächelt habe, habe ich das Bild doch in verschämtem Entzücken, wenn ich nachts über den öden Pharmakologiebänden saß, immer wieder betrachtet, bis mir die dümmlich glasigen blauen Augen zufielen, und es heimlich, doppelt gefaltet in meiner Brieftasche, immer auf dem Herzen getragen, bis zum Schluss, bis dieses Herz von dort verschwand.
    Ein Jahr nachdem sie mir dieses Porträt geschenkt hatte, tauchte sie in unheimlich guter Laune mit einem anderen Bild in meinem neuen Büro auf. Sie legte mir den schwarzgrundigen, glänzenden Bogen auf den Schreibtisch, auf dem ihr Hirn durch den gänzlich unschwülen Magnetismus des Kernspins scheibchenweise multipel geworden war, und ich versuchte krampfhaft, an Baumkuchen zu denken, während sie auf die einzelnen Bildchen pochte und dabei heiter ausrief:
    »Sehen Sie, Herr Doktor, sehen Sie hier – Sie sehen nichts!«
    »Ja natürlich nicht, und? Was soll das? Ich verstehe nicht …«
    Sie hatte ihre gute Laune aufgegeben und fragte mich nun ernsthaft verärgert:
    »Warum muss ich das machen? Warum muss ich alle vier Wochen so ein Bild machen lassen, erklär’s mir!«
    »Ja, es ist eine dämliche Formalie, aber was soll’s …«
    »Warum müssen wir das machen? Wofür brauchen sie das?«
    »Gott, was ist das Problem, mach es einfach wie alle anderen und fertig aus, wozu sich …«
    »Du findest das nicht schlimm?«
    »Schlimm, wieso schlimm, was sollte daran …?«
    »Na schön, ich mach’s ja«, sie ließ sich seufzend in den Sessel in der Ecke fallen, drehte mir langsam den Kopf zu und sagte dann leise: »Darum geht’s ja gar nicht.«
    »Sondern?«
    Ich wollte es nicht wissen, und das konnte sie mir auch ansehen, aber sie sprach trotzdem weiter, noch leiser:
    »Ich versteh ganz andere Dinge nicht.«
    »Hm.«
    Ich ließ mich von dem Drehstuhl wieder ganz meinem Rechner zuwenden, schloss kurz die Augen, als ich ihren Blick im Nacken spürte und einsah, dass ich sie nicht würde zum Schweigen bringen können.
    »Ich versteh nicht, was du für komische Sachen … ich meine, nachts vor dem Spiegel …«
    Das Herz schlug mir bis zum Hals, und ich musste mich ganz zusammennehmen, um nicht als dieses Ganze, nicht in einem Stück herumzufahren, sondern mich zerstreut zu ihr zurückzudrehen und nur beiläufig belästigt zu fragen:
    »Was?«
    »Ich … entschuldige, ich wollte nicht …, ich werd vielleicht mal gehen besser.«
    »Ja, vielleicht können wir das wirklich wann anders …, ich hab hier noch so viel in mich einzuarbeiten, verzeih«, ich lächelte begütigend oder eher gequält, weil ich es jetzt selbst nicht aushielt, wie sie verschreckt aufstand und sich zu gehen anschickte. »Aber ich will, ich muss auch diese letzte Prüfung noch wirklich absolut fehlerfrei bestehen, das verstehst du doch,

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