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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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gehört, man schwätzt ja unten pausenlos darüber, und alle wollen es angeblich schon mal bekommen haben. Stimmt es, dass der Sprechsaal eine Art Nemesis ist, eine Abrechnung mit dem früheren Leben?«
    »Nein, das stimmt nicht. Der Sprechsaal ist einfach nur ein Saal, in den man hineinspricht und aus dem es genauso oder fast genauso zurückspricht, ein idealer Gesprächspartner, gewissermaßen.«
    Ich lächle ebenso unangenehm ironisch, und für einen schwindelnden Moment sind wir wieder partner in crime , aber Referent rettet sich in Papierkram:
    »So, dann wäre so weit alles geklärt zwischen uns. Wir müssen nur noch schnell das Formale erledigen, dann kann ich Sie endlich untersuchen. Denn diese Einweisungspapiere sind ja nur eine vorläufige Order, Sie müssen noch Ihre Einwilligung zu Ihrer Behandlung hier geben, und ich muss Sie noch kurz über Ihre Rechte aufklären, einverstanden?«
    »Ja gut, natürlich.«
    Ich drücke den Summer, und augenblicklich erscheint dieselbe Schwester wieder, bringt mir einen Stapel Papiere in einem grünen Aktendeckel und nickt dabei Patientin erneut freundlich zu, die der Schwester lächelnd und sich den Kopf verrenkend hinterherschaut, bis diese wieder verschwunden ist. Dann fragt sie mich erstaunt:
    »Haben Sie für so was keine Sekretärin? Ich meine, machen die Schwestern hier auch all den Papierkram?«
    »Die Schwestern machen hier prinzipiell alles, unglaublich zähes Vieh. Aber im Grunde machen wir hier ja alle alles, und Aktenpflege ist eben auch eine Art von Pflege«, ich lache gezwungen über meinen schlechten Scherz, um eine kurze Unsicherheit vorzutäuschen, sodass Patientin mich verwundert anschaut und ich umso sicherer und schneller fortfahren kann: »Also, formal gesprochen schließen wir einen Vertrag miteinander. Die kranke oder gesundheitsuneinsichtige Partei – das sind Sie – verspricht vollste Aufrichtigkeit, das heißt die Verfügbarmachung allen Stoffes, den ihr ihre Selbstwahrnehmung liefert, wir – das bin ich – sichern ihr, also Ihnen, im Gegenzug strengste Diskretion zu und stellen unsere Erfahrungen in der Auslegung, Bearbeitung und Archivierung solchen Materials in Ihren Dienst. Sie können uns, also mich, Ihren Arzt, als Beistand, als Bundesgenosse im Bürgerkrieg von Herz und Hirn gegen Ihr geschwächtes Selbst betrachten. Vorab möchte ich Sie aber gleich darauf hinweisen, dass die gesundheitsuneinsichtige Partei, also Sie, einen solchen Vertrag nicht einhalten, ja kaum ihn eingehen kann, äh, ich meine können.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Ja, Sie können sich das gleich alles noch mal in Ruhe durchlesen, das bedeutet nur, dass unsere Partei mit Ihrer Vertragsbrüchigkeit rechnet und Ihnen diese keineswegs übel nehmen wird, sondern im Gegenteil für mögliche Widerstände gegen die Behandlung größtes Verständnis haben wird. Sehen Sie es einfach so: Wir sind der verlässliche Teil der Vertragspartnerschaft und Sie der unzuverlässige, und das ist vollkommen in Ordnung so. Ich weise Sie auch nur darauf hin, um von vornherein dafür zu sorgen, dass Sie sich zur strikten Einhaltung des Vertrags keineswegs verpflichtet und sich uns gegenüber bei etwaigen Verstößen auf keinen Fall schuldig fühlen sollen, Sie sollen sich zu keinem Zeitpunkt der Behandlung in irgendeiner Weise unbehaglich fühlen. Wir als Ihr Arzt, also ich, wissen, weiß ja, dass Ihr Widerstand gegen die Behandlung symptomatischer Ausdruck Ihrer Defizite und Ihnen deshalb in keiner Weise persönlich anzulasten ist, und daher ist dieser Widerstand selbstverständlich Teil der Behandlung und …«
    »In welcher Weise könnte ich denn Widerstand leisten?«
    »Ach, da wird Ihnen einiges einfallen, das können wir dann von Sitzung zu Sitzung sehen.«
    »Gut, da brauch ich mir jetzt noch keine …«
    »Nein nein nein, überhaupt nicht«, beruhigen können Referenten immer, und Patientin atmet erleichtert auf, lächelt mich in bezaubernd kindlicher Vertrauensseligkeit an, und obwohl ich mit leichter Verachtung zur Kenntnis nehme, dass dieses Lächeln pfundweise zu dick aufgetragen ist, falle ich dennoch darauf rein, weil sich eine wenn auch nur minimale Differenz zwischen Affekt und mediativer Bearbeitung strukturbedingt noch immer nicht aufheben lässt. »Das vergessen Sie erst mal wieder gründlich. Wir müssen ja jetzt nur die wichtigsten Modalitäten der vertragsmäßigen Hilfeleistung klären. Also noch einmal, Sie sagen uns alles, was Sie über sich wissen und

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